Category Archives: Tagebuch

Neckartaufe

Ein Igel raschelt sich stundenlang in den trockenen Blättern unter meinem Fenster einen Wolf. Raschelt und raschelt. Als brauche er dringend Aufmerksamkeit. Als möge er meine Musik. Als der Igel schlafen geht, ist es spät. Oder früh.
Heute ist der Tag meiner Neckartaufe. Ich bin nicht aufgeregt. Aber ich muss noch etwas schlafen, sonst werde ich vor Müdigkeit im Fluss ertrinken. Auch wenn er nicht tief ist. Ich habe keine Ahnung, ob mit der Neckartaufe ein neuer Name verbunden ist. Ob es förmlich zugehen wird. Oder studentisch rau. Ob ich es mögen werde. Ob Hölderlin auch vom Kahn gestoßen wurde.

Stelzmücken

Habe ich schon erwähnt, dass meine Schale Erdbeeren keine einzige madige Frucht enthält? Dass das zarte Herz des Salats immer in meinem Kindermund gelandet ist? Dass selbst tote Stelzmücken noch sehr schön fliegen, wenn ich sie aus dem Fenster werfe?

Blank

Als hätte das Chaos in meinem Zimmer etwas mit dem Chaos in meinem Kopf zu tun, verschwindet langsam beides. Soweit das in einem so kleinen Zimmer, in einem so kleinen Kopf, eben geht. Ich fühle mich blank. Im Sinne von spiegelndem Glanz genauso wie im Sinne völligen Ausgeliefertseins. Eine gute Stimmung, würde ich sagen.

Wintergarten und Pfauenschrei

Alles findet sich irgendwann wieder. Die verlorene Nähnadel meldet sich als kleiner Schmerz im Lammfell des Hausschuhs, als ich hineinschlüpfe. Morgen habe ich eine Verabredung im französischen Viertel und frage mich, ob nicht alles, was uns im Leben widerfährt, im Grunde ein Wiederfinden ist. Platon würde vielleicht zustimmen. Und Heidegger würde möglicherweise mit einem charmanten Lächeln hinzufügen, dass es nicht nur im Grunde ein Wiederfinden ist, sondern auch ein Wiederfinden im Grunde.
Ich klebe den zwei alten Herren zärtlich ein paar Pflaster übers Maul. Die Musik will etwas sagen. Faurés Chansons sind unverschämt präsent in meinem Zimmer. Wieder spult die Filmszene vom buntgläsernen Wintergarten, in den ein Pfauenschrei dringt, durch meinen Kopf. Diese nie gedrehte Filmszene. Das Wintergartenzimmer gibt es nur irgendwo hier, bei mir. Ich bin gespannt, in welcher Form ich es eines Tages wiederfinden werde.
Als Maxim mit »Killing Culture« und »Carmen Queasy« einfällt, erschrecke ich fast. Money making is a wonderful thing. Was sagt Platon jetzt? Ich nehme das Pflaster ab, doch er schweigt. Aber weil es kein beleidigtes Schweigen ist und der Alte versonnen lächelt, mache ich mir keine Sorgen. Prodigy bricht mit »Girls« dazwischen. Ich will tanzen. Fächerndes, zuckendes Licht auf geschminkten Gesichtern sehen. Aus einer dunklen Ecke dringt ein dämonisches Grinsen. Ich ahne nur, wem es gehört.

Poker

Manche würden vielleicht sagen, dass die Welt mich wieder hat, manche, dass Regen schön macht, manche, dass zwei Elstern für Glück stehen. Ich sage nichts und koche seit langem wieder, so scheint es, meinen liebsten Chaitee. Der Mann aus Kiel ist verschwunden. Und Schiller in der Federlese begriffen. Ich lerne Poker. Das ist keine Metapher.
Es gibt Menschen, die ihre volle Größe noch nicht erreicht haben. Und sie werden sie vielleicht nie erreichen. Die sind immer noch schöner als solche, die sich von vornherein alles Mögliche selbst amputieren.
Sadisten müssen nur beobachten können. Am meisten quälen die Leute sich selbst.
Die Elstern, die mein Fensterbrett besuchen, sind nicht nur schwarz und weiß, sondern auch kobaltblau, grün und pink, wenn das Licht es will. Ich gehe einen Schritt weiter in den sanften Abend. Karten und Menschen aufmischen, ein Spiel für die Nacht. Bis bald.