Category Archives: Tagebuch

Theologenbart

Ich gehe einkaufen und halte den ganzen Weg nach Hause eine Paprika wie den Reichsapfel in der Hand. Der Lauch wird wie ein Feind exekutiert. Auch die Toffifeearmee muss ihr Leben lassen, größtenteils. Die Milchtüte würde ich gerne mal platzen sehen. Aber nicht hier.
Akte vor der Staatsgalerie schießen ist denkbar. Kunstsinnige verstehen sowas. Akte im Bankenviertel ist schon eine Stufe heikler. Aber weil ich Lust auf Stadtlandschaft habe und ein Fotograf Ideen zu selbiger, wird Stuttgart wieder herhalten müssen. Jedenfalls haben wir Pläne. Auf dass die Herbstabende nicht zu kalt werden.
Zum Abschied küsse ich einen Freund und Theologen, seit Jahren nicht gesehen, auf die Wange. Dass er sofort für die Hölle und Sartre zu entflammen war, brachte uns auf Theatergedanken. Die alte Spielsucht. Wir plauderten, offener als erwartet, der zukünftige Pfarrer kennt das Leben, den Rauch, den Zwiespalt, die Kunst. Im Stift war es ruhig, wir tappten durch die dunkle Kapelle, blickten aus alten Fenstern in schmale Gassen, auf verwinkelte Dächer. Tübingen schmeichelte uns an. Als gäbe es was zu feiern.

Propheten

»Du wirst Erfolg haben. Mehr noch, und darum beneide ich Dich, Du wirst dabei glücklich sein«, sagte einmal jemand zu mir. Noch als ich zu schwachem Protest ansetzen wollte, aus Bescheidenheit vielleicht, wusste ich nicht mehr, was ich sagen wollte. Ich glaube nicht, dass ich etwas Angemessenes zu erwidern hatte. An guten Tagen, wie heute, glaube ich an die Prophezeiung. Dass man an Prophezeiungen nicht glauben muss, ist mir natürlich klar. Und oft genug bin ich ein Häufchen zweifelndes Elend. Das kommt von meiner Ungeduld. Dann aber kommen Tage, Stunden, die keinen Widerspruch dulden, so wie heute.

Der tägliche Fechtgang

Wenn das Kopfkino in vollem Karacho seine Bilder durchpeitscht, wenn die Musik aus meinem sogenannten Zufallsgenerator alle Nerven trifft, wenn Verrücktspielen zum täglichen Fechtgang gehört, ist das mein Leben. Der Auftritt im Vorstadttheater rückt näher. Und die Prüfungsliteratur mir auf den Leib. Manchmal würde ich gern im Unterhemd auf einem Balkon sitzen und nichts tun. Aber es ist Wirbel vorgesehen. Und einen Balkon habe ich nicht. Wenn ich den Kopf verliere, wächst mir im Schlaf ein neuer, wie gut. Ich habe Sehnsüchte, die wie ungestüme Pferde fortstieben. Kontrolle ist eine nette Lüge, um die Welt bei Verstand zu halten. Im Grunde ist alles okay.

Freies Parkett

Heute habe ich mich als Perlenpaula verkleidet und frage mich, wie viele wissen, was das überhaupt ist. Überall liegt gewaschene Unterwäsche im Zimmer herum und trocknet, so ist das in kleinen Wohnungen. Das einzige, was ich vermisse, ist harte, laute Musik und freies Parkett vor einer neonroten Bar. Um den Strom aus der Luft zu saugen. Tanzend.

Bügelfrei

Würdest Du eine Reise antreten, die mit der Zeile »Kulturschock unter Yuppies« titelt? Ich würde. Ich würde mir auch die Fingernägel blau lackieren. Ich würde Manschettenknöpfe tragen. Ich würde Frankfurt zu Fuß durchqueren. Ich würde Börsenfräcken bei Straßengesprächen zuhören. Ich würde White Russian trinken und im Westend Kopfschmerztabletten kaufen. Ich würde ein bisschen größenwahnsinnig werden und Komplimente machen. Es gibt Augen wie Wasser auf klarem Grund in der Sonne. Ich würde im dreiundzwanzigsten Stockwerk der Skyline nachhängen und durch die Kulisse am Opernplatz kreiseln. Ich würde den Egozentriker am Frühstückstisch angrinsen. Ich würde alles so machen wie geschehen.