Category Archives: Tagebuch

In meine Arme

Ich habe begonnen, Menschen zu umarmen. Damit meine ich weder meine Eltern, die ich liebe, noch Männer, die ich liebe. Ich habe begonnen, die sogenannten Freunde zu umarmen. Und ich weiß nicht, ob mir das gefällt. Die Distanz, die ich gewohnt bin, schmilzt. Einerseits ist eine Umarmung oft ein probates Mittel, kurz und bündig auszudrücken, was in Worten leicht verloren geht. Andererseits ist eine Umarmung eine sehr barbarische Vernichtung des schönen und subtilen Austauschs von Blicken, den ich kenne und liebe.
Umarmungen laufen auch schnell Gefahr, in hauchfeine Heuchelei abzudriften. Dorthin möchte ich mich, auch nicht schleichend, bewegen. Dabei ist es sehr leicht, den Konventionen des Abschiedsrituals fast willenlos zu folgen. Ganz so schlecht fühlt es sich ja nicht an. Und manchmal will ich auch wirklich umarmen und umarmt werden. Aber eben nicht immer, nicht aus Gewohnheit, nicht aus Höflichkeit und nicht aus Faulheit, subtilere Gesten zu achten. Berührt werden möchte ich nur dann, wenn ich wirklich berührt bin. Oder es gute Gründe dafür gibt.
Vielleicht habe ich auch nur begonnen, die Menschen mehr zu lieben. Aber das, mit Verlaub, wäre ein wirklich schmaler Argumentationsgrat. Oder ich bin offener fürs Konventionelle geworden. Was nicht an sich verteufelt werden könnte.
Ein bisschen ratlos gehe ich in die Nacht. Was schön ist zu wissen: Jede neue Begegnung wird ohnehin für sich entscheiden, ob sie eine Umarmung werden will oder nicht.

Zornhut

Jeden Abend scheint der Mond in mein Fenster. Ich öffne das Heinz Dosenchili. Die Zornhut ist ein imposanter Anfang für einen Fechtgang. Ich habe vom Schwertkampf geträumt.

Blut lecken

Das wirklich Schlimme am ersten Film ist, dass es tausend Dinge gibt, die Du hättest besser machen können und zugleich tausend Dinge, die Dich Blut lecken lassen. Sei dieser Film ein Schulprojekt, reines Privatvergnügen oder eine Produktion, die es letztlich sogar auf einen käuflich erwerblichen Silberling schafft. Du wirst es wieder tun wollen.
Blut geleckt haben wir mit »One By One« ganz bestimmt, und zwar wortwörtlich. Auch der Silberling ist jetzt draußen. Die Releaseparty in einem kleinen Lokalkino überwältigte mit erstaunlichen Besucherzahlen. Das Kino war zu klein, sie alle zu fassen, zwei Dutzend wurden wieder weggeschickt. Die Nacht nach dem Film war lang und voller Cocktails.
Meine persönliche Filmkritik werde ich hier nicht abgeben, zu oft habe ich sie schon produziert. Ich behaupte einfach, dass ich unschuldig bin an der ganzen Sache, schließlich habe ich beim Dreh einfach nur das getan, was man mir sagte. Ja okay, sie sagten immer, ich solle die Finger von den Pillen lassen. Das habe ich nicht getan.

Schokolade mit Hut

Thomas Hobbes, Holly Golightly, Netzwerke und Machtfragen gehen durch meinen Kopf. Alles davon mehr oder weniger ziellos. Mein Nacken tut weh und ich befürchte leichtes Fieber im Anmarsch. Ich stelle mich in heißes Wasser.
Heute ging es mir sehr gut. Ich habe Sushi gegessen, Katharina wiedergesehen und heiße Schokolade getrunken. Der Regen hat meine Hosenbeine etwas nass gemacht, im Café bin ich neben Rainer fast eingeschlafen. Bei diesem, dem Mann mit Hut, habe ich noch eine Fahrt auf dem Neckar gut und ich vergesse es immer wieder. So wie ein Anderer immer vergisst, dass ich ihm noch einen Kuss schulde. So schulden wir uns alle hin und her.

Vorstadtkinder

Die mittwöchliche Melange im Vorstadttheater begann, wie vermutet, mit Lampenfieber. Das Akkordeonensemble spielte Liebeserklärungen auf, Liebeserklärungen an ein verkanntes Instrument, so schrieben sie. Ein zittriges Foto dieser Instrumente ist in der Dunkelkammer bei den Veranstaltungen zu finden. Zeitgenössische Musik auf dem Akkordeon, das hat mir gefallen. Die Stücke haben manchmal fast etwas Eisiges. Das kann sonst nur die Orgel.
Mich selbst erlebte ich wie immer etwas unscharf, aber das ist normal. Auf der Bühne ist alles ein wenig anders als unten. Manchmal fehlen ganze Stücke des Bühnengeschehens in meinem Gedächtnis. Als gehöre die Zeit dort oben gar nicht mir. Manchmal gibt es aber Momente, die sich umso fester in meinen Kopf einbrennen. Zum Beispiel, wie Hans Peter und ich eine Hörsaalwand voller Schulmusiker mit einem Stück von John Cage in Atem hielten, extra langsam schmoren ließen und schließlich zum Platzen brachten. In Trossingen war das. Oder als ich auf der Bühne starb. Das war noch in der Schule. Sehr seltsam, sich so völlig gehen zu lassen und alle sehen zu. Mit Gesichtern sprechen, die ich oft vor Licht nicht sehe, das alte Lied.
Jazz zum Schluss hat gut getan. Bassisten sind ohnehin toll. Und dass die Stadtsheriffs von der Puppenbühne klasse sind, muss ich wahrscheinlich nicht extra sagen. Ein Ende fand alles mit Rotwein und Häppchen, in der Künstlerecke stehend, sich freuend und den Wein ins Blut rinnen fühlend, ein wenig Unsicherheit in den Gliedern, Flatterigkeit und Ruhe zugleich, und eine schöne, blinzelnde Müdigkeit, die an Schlaf aber nicht denkt.