Category Archives: Tagebuch

Aufbruch

Diesmal fliege ich nicht. Diesmal kann ich Wände hoch gehen und an der Decke tanzen. Mich neben den Kronleuchter legen und die Menschen beobachten. Und noch andere Träume, die keine Bilder hinterlassen, nur ein Gefühl, ein starkes.
Nebenbei putscht der Vollmond in meinem Temperament herum. Ich werfe Butterdosen und Salatbeutel durch die Wohnung. Ein altes Adressbuch wandert ins Altpapier und mit ihm ein paar Dutzend Leute. Abschied ohne Abschied. Alles fließt. Umzugskartons umringen mich. Nur noch fünf Tage Tübingen. Und ich bereue nichts.
Duschen und sich auf die Badewannen der Zukunft freuen. Den flauschigen Mantel anziehen. Er ist burgunderrot. Wein, der dieselbe Farbe hat, und heiße Schokolade trinken. Ganz langsam Normalnull wiederfinden.

Schneestiefelpirouetten

Ich muss mich beherrschen, nicht nach jedem dritten Schritt zwei Pirouetten zu drehen. Und bergab fliege ich im Hopserlauf, zu leicht für diese Welt. Meine Laune segelt auf und ab, eine Möwe, eine Schwalbe, ein Wendehals. Wer hätte gedacht, dass der Himmel der Launen so weit, weit, weit ist. Der Ernst des Lebens, sagen sie. Aber meine Flügel wachsen mit.

Schwarze Barbies

Ich höre die Empfehlungen eines Schweden. Auch wenn ich weiß, dass sie mich melancholischer machen als ich bin. Sein sollte. Die schwarze Box, in der die Tonträger geliefert werden, erinnert mich an eine Cyberpunkausgabe von Barbie und der Schwede mich an Stockholm. Beides gefällt mir und schürt die Sehnsucht. Ich rauche zu viele Zigarillos. Für meinen Geschmack. Zwei in einer Woche, das hatten wir noch nie.
Lieber an Dinge glauben, die Du der Welt noch beweisen musst, denke ich, als Dinge, die Dir längst bewiesen wurden, nicht glauben wollen.
Die Perlen stehen im Kontrast zur Nacht. Ich habe Lust auf ein kleines Schwarzes. You’re always on your own, singt der Schwede mit frostiger Stimme.

Unsichtbare Drachen

Kindergarten ist eine Weile her. Grundschule auch. Aber es gibt Erinnerungen, die umso heller leuchten, je dunkler der Raum um sie wird. Wie Bleiglasfenster, die Du so sehr liebst. Am wachsten und hellsten sind übrigens nicht die Erinnerungen an Wirkliches, sondern an Spiele, an das, was Du Dir nur vorstelltest, was Du Dir einbildetest. Und an diejenigen, die diese Vorstellungen teilten. Unsichtbare Drachen sind die stärksten.

Das Vermissen einer Krone

Du bekommst langsam ein zärtliches Verhältnis zum Netz, weil Du wochenlang nur das Trackpad benutzt hast. Als hättest Du die Seiten alle berührt, Dich durch alles durchgefingert. Die Maus verstaubt. Deine Finger tasten lieber, sind manchmal kalt und das Trackpad sachte warm, glatt, angenehm. Es lässt sich im Traum bedienen.
Manchmal vermisst Du etwas auf Deinem Kopf. Aber Hüte und Mützen funktionieren nicht, sie sind zu füllig und flächig. Tücher auch nicht, zu weich, zu verhüllend. Allmählich wird Dir klar, dass es eine Krone sein müsste. Eine schmale, auch halbwegs alltagstaugliche Krone, ein Diadem oder zur Not ein dicker Kranz aus Gänseblümchen. Du fragst Dich, ob Du als Kind zu oft Prinzessin gespielt hast. Eigentlich nicht. Lieber warst Du Robin Hood. Du sagst Dir, wie seltsam Dich die Leute fänden, wenn Du Kronen tragen würdest. Du fragst Dich, ob sie echte Kronen oder selbstgebastelte aus Goldpapier schlimmer fänden. Du behilfst Dir mit aufwendigen Haarreifen oder Spangen und fragst Dich, ob es für diese Neurose schon einen Namen gibt: Das Vermissen einer Krone.