Irgendwas fliegt vom Balkon über mir, ein Pappkarton vielleicht, an meinem Balkon vorbei, und landet rumpelnd im Garten. Ich schlürfe unbewegt vom Schokokaffee. Der Rechner rauscht ganz leise. Ich sehe nicht nach. Soll die Welt mit Zeug werfen. Einer chattet mich an. Es ist der taoistische Schlagzeuger mit einem Kulturvorschlag. Ich glaube, er tupft mich wie einen Klecks Fingerfarbe auf eine freie Stelle in seinem großen, bunten Kalender, eine Stelle, die er sorgfältig auswählen muss, denn viel ist da nicht frei. Und da trockne ich dann fest, ich, in der Kunsthalle Weishaupt. Irgendwo, irgendwie finde ich mich im Anschluss selbst wieder und bin verblüfft, wie leicht ich mich manchmal verliere. Abends lege ich Köder für Rotwildfetischisten aus und beschließe, dass das Tagewerk damit erledigt ist. Ich sinke zurück in die Badewanne. Der Schaum legt sich um meinen Nacken wie ein Pelzkragen. Ich folge Fürst Myschkin nach Pawlowsk.
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Kakteenklavier
Ich bin erholt. Zurück aus einer Welt, wo Engel wohnen, wo kochen nur im Hochsicherheitsbereich möglich ist, wo es Liebeswelse, importierte Pimperfische, Topfkatzen und ein Kakteenklavier auf dem Fensterbrett gibt. Wo ich mich inzwischen ein bisschen zu Hause fühle, nur so ein bisschen. Wo ich mich manchmal wie eine Zwölfjährige fühle, oder auch aufführe, und wo ein großer Bruder haust, der Einzelkind ist, genau wie ich.
Sprungbrett
Also, Theorie. Es gibt die Menschen, die die Welt zusammenzuhalten und die Menschen, die sie bewohnen. Erstere mixen Drinks, schreiben Geschichten, entwerfen Kleider oder Häuser. Erstere halten die Ecken des großen Tuchs, während Zweitere sich fallen lassen. Manchmal musst Du auf Zweitere aufpassen, ein bisschen wie auf Kinder. Aber weil Du die Ecken der Welt in der Hand hast, kannst Du sie auch einwickeln, dufte sogar. Schön ist, Dich selber fallen zu lassen, wenn Du einen der Ersteren um Dich hast. Vertrauen, durchatmen und Dich tragen lassen. Zu wissen, Dein liebster Barmann wird Dir bringen, was Du brauchst, wird Dich fragen, was Du gefragt werden möchtest. Er holt Dir später sogar Dein Taxi, wenn Du willst. Der andere Kerl ist schon nass vom Regen, bevor er in das türkisfarbene Becken steigt. Ich tauche neben ihm unter, mein Kajal zerfließt im Schwimmbadblau. Wir lachen, necken, spielen, ein paar alte Männer sehen zu. Der Kerl sagt: Ich will gern Deine Kletterstange, Dein Kratzbaum, Dein Sprungbrett sein.
Eisbrecher
White Russian Nights nennt sich die Veranstaltung. Abgesehen vom White Russian, den wir diesmal zu Gunsten anderer Getränke links liegen lassen, gibt es jede Menge klobiger Sofas, durchscheinende Vorhänge und Schiffsplanken, sogar zwei Ölfässer und ? hin und wieder russischsprachigen ? House, Techno und Hip Hop. Ich färbe meine Chamäleonhaut, habe einen passenden Ton für jedes Ambiente, und sollte einer fragen, werde ich mich als Tatjana oder Natascha vorstellen. Dass anderthalb Stunden nach Einlass noch niemand tanzt, wundert mich. Auch der Discjockey schaut zerknirscht, zieht eine Strippe nach der anderen, nichts tut sich. Die russischen Mädchen stehen am Rand und warten. Irgendwann habe ich genug. Ich werfe mich mitten in den Raum, auf die leere Tanzfläche, und spiele den Eisbrecher. Genieße die Solomomente, schmiege mich in die Musik. Die Beats, hart und simpel, durchkämmen meinen Tanz und alle sehen zu. Publikumsgeile kleine Schlampe oder mutiges Entlein, letztlich ist es dasselbe. Und drei Minuten später wippen, wie erwartet, die Hintern der Russinnen neben meinem, sie tanzen einen verhaltenen Entenkreistanz. Als der Kreis sich öffnet, geselle ich mich eine Weile hinein. Manche der Mädchen lächeln mich an, andere meiden meine Blicke wie das Feuer, ich tanze das Kollektiv vorsichtig an, wir machen Konversation in Körpersprache. Dann schwinge ich mich zurück in meine Soloposition, wechsle wieder in meine eigene Gangart und zertanze meine Nylons. Dass mein Ginger Ale auf magische Weise niemals leer wird, liegt an Duweißtwem, der mit seinen zwei Long Islands und der roten Lederjacke dasteht und jede Bewegung im Raum analysiert. Er schaut bodyguardmäßig drein und ahnt vielleicht, dass ich später gnadenlos zurückanalysieren werde.
Apfelblüten
Das Ding steht einen Abend lang da, so oder so. Also spielen wir reiche Leute. Mit einem Cabriolet unterm Hintern ist das natürlich nicht schwer. Die Sonnenbrille auf, und fertig. Zu allem Überfluss hat der Schlitten eine exzellente Anlage, auch bei hundertsechzig steht der Sound noch klar. Wind im Haar, den Kopf nach hinten legen, über mir Baumkronen, Wolken, alles fliegt. Im Ort dann sehen die Leute den jungen Angebern nach. Dass wir nicht dazugehören, nur spielen, lässt uns am meisten lachen. Der Freitag gehört Büchern, jungen Schreiberlingen und einer meiner liebsten Bars. Sogar mein liebster Barmann ist da, um mir meine White Lady hinzustellen. Die Nacht zum Samstag blendet langsam in einen Wendlinger Apfelblütenkitsch über, ich werde in diesem Film gut gelaunt, halb bekleidet und frisch geduscht in einer Hauptrolle spielen, bei sonnigem Frühstück die Audrey-Hepburn-Brille zurechtrücken und doppelt so viel verputzen wie mein Gastgeber. Später, auf der Brücke, werde ich meinen Rocksaum flattern lassen, so dass die auf der Autobahn hinrasenden Menschen mich wie eine blaue Fahne wehen sehen. Werde weitergehen, Schmetterlinge, Pferde, und fast einen Sonnenbrand bekommen, nur fast. In Blumenwiesen werde ich Holly Golightly spielen, ich heirate nur für Geld, werde lachen, neue Steinchen fürs Gedankenmosaik sammeln und Gänseblumen fürs Haar. Und jetzt, ein neues Spiel, ein anderer Abend. Guinness, scharfe Suppe und Salat. Frühlingsrollen oder Steak. Sogar Champagner ist da. Oder doch Melone zum Nachtisch.