Goldrandwolken hinter Ulm, postkartenschön. Windreiter, wie ich, Herbstreisende. Schließlich hinein in den Wendlinger Regen. Den nächsten Tag im schulterfreien Lieblingspulli bestreiten, Thaisuppe und Sushi. Abends Bankhengste und Krawattenträger treffen, vor der Glastür Stuttgarter Nutten, eine Bar im Rotlichtviertel. Die Geldmenschen baden im Flair des Käuflichen, und ich auch, koste Lillet und guten Weißwein. Ich bekomme neue Lebensgeschichten erzählt. Lese in Mündern und Augen, so gut ich kann. Jeder reimt sich so sein Leben zusammen. Ich reime mit. Werde frech. Werde missverstanden. Werde müde und wieder wach. Irgendwann suche ich das Weite. Aber die Bankstergeschichten laufen mir hinterher, lecken meine Hände, sitzen schließlich vor der Matratze bei Fuß. Ich träume von Insektenschwärmen. Morgens im Spiegel habe ich noch dieselbe Frisur wie in der Weißweinnacht. Dreiwettertaft, ein Filmaufwachen, frisch frisiert. Naja, halbfrisch oder viertelfrisch, eine verpennte Morgenfee. Heute, arbeitsam, zurück in der Pampa, ein Kneipenfrühstück wie aus dem Bilderbuch, Rührei, Toast, Schinken, Camembert, Trauben, Melone und so weiter. Nach dem Schreiben werde ich die Ledernadel holen, mir einen Hippiemantel passend nähen, das Geschenk einer Flohmarktgängerin, mir Kräutertee machen und einen Blick in den Kühlschrank riskieren. Und das Erkältungsbad nehmen, das ich dringend nötig habe.
Category Archives: Tagebuch
Temperament
Ich lutsche Gletschereisbonbons. Die schmecken nach Schulzeit. Nach Pausencoolness, Theaterproben und Flirts in der Raucherecke. Inspirationsflashs und Hirnflauten wechseln sich ab. Die Tage reihen sich aneinander zu einer Tautropfenkette. Ich bastle einen Sommer voller Schwimmbadluft, voller Limettenscheiben, voller Arbeit, voller Träume und lauer Nächte, voller Schlaf und Schlaflosigkeit, voller Erkundungen und Erleuchtungen und Achterbahnfahrt. Dem Leben immer wieder Möglichkeiten abringen. Sturm und Gewitter auf der Autobahn abreiten. Tief drinstecken. Loslassen, nicht loslassen. Glücksraben füttern. Das eigene Temperament überleben.
Detailkucker
Nur wenige Meter nachdem ich den Rhein überquert habe, weiß ich, was ich vermisst hatte. Ein bisschen Chaos, ein bisschen Verfall. Den Dreck, der entsteht, wenn man sein Leben lebt, ohne sich um jeden Käse zu kümmern. Die Fassaden sind fleckiger in Frankreich und ich sage nicht, dass das besser oder schlechter wäre. Aber es tut gut, für eine Weile im Land der fleckigen Fassaden zu sein, ein Leben jenseits des Perfektionismus. Drei Stunden später frage ich mich, ob meine Sinne heute stärker sind oder ob Franzosen stärker riechen. Sie riechen nach Zigaretten, nach Duschgel, nach Parfum, nach Konfitüre, je nachdem. Statt mir die Pariser Innenstadt zu geben, nehme ich einen Zug ins Umland. Nicht immer idyllisch dort. Ich mag es, durch die Landschaft zu kutschen, die Felder, die Wassertürme, die aggressiven Werbetafeln an der Route Nationale, wie ausgestorben manche Orte im Sommer sind, kleine Läden, in denen Immigrantensöhne arbeiten und mir als Frau überfreundlich ins Dekolleté grüßen, Schleichwege, Bonzengärten, Parks. Ich entdecke eine Sandgrube mit schneeweißem Sand, Schmetterlinge sind überall, nachts fackeln Jugendliche hier geklaute Autos ab. Die Destination einer Reise, merke ich, spielt keine so signifikate Rolle, ich genieße das Reisen an sich. Ich bin Detailkucker, mir wird selten langweilig.
Beidseitig vollverspiegelt
Die Künstlerseele zieht Enten an. Und Schmetterlinge. Und Kinder. Sagt der Schlagzeuger in die Donauströmung hinein. Die Lautstärke ist indirekt proportional zum Grad an Bewusstheit des Sprechenden. Auch das sagt er. Dass er manchmal nachfragen muss, weil er mich nicht verstanden hat, sollte ich wohl folglich als Kompliment ansehen. Vielleicht hat er auch nur geplagte Musikerohren. Auf diesen Ohren liegen die Bügel einer schwarzen Sonnenbrille, die er sorgfältig ausgewählt hat. Ich trage ebenfalls Verspiegelung, der Tag ist heiß und hell. Mir fällt auf, dass der Schlagzeuger der erste Typ ist, dem ich beidseitig vollverspiegelt begegnen kann, ohne diesen gewissen Arroganzfaktor zu fühlen, den Sonnenbrillen für gewöhnlich mit sich bringen. In den folgenden Tagen arbeite ich, schreibe ich, wandere im Regen um den Titisee und trinke meinen Champagner gekonnter als das Geburtstagskind. Im Großen und Ganzen passiert mehr als ich erzählen könnte. Es sind Tage, die fordern, dass man sie anpackt. Tage voller Farben, voller Bilder. Ich werde diese Tage noch abernten, einzelne Trauben begierig aussaugen, etwas Wein keltern.
Kleines Paradies
Ein Pfauenauge verirrt sich in mein Zimmer und landet zielsicher auf meiner linken Brust. Dort bleibt er sitzen, bis er nach draußen getragen wird. Überhaupt sind überall Schmetterlinge zur Zeit. Mein Indigobruder schickt mir Bilder von einem Kollegen. Der ist wenig schmetterlingshaft, sondern hat eine verwegene Charakterfresse, die gut auf Jazzkonzerte und auf Piratenschiffe passen würde. Irgendwann würde ich den kennenlernen, heißt es. Außerdem werde ich auf eine Gartenparty eingeladen, auf ein tagelanges Fest zwischen Tomatensträuchern, Kräutern, Rosen und Kirschbäumen. Alles ist etwas heruntergekommen in diesem Garten, der Teich zugewachsen, die Pergolen überwuchert. Geschlafen wird in Hütten, die Musik ist exzellent. Nachts gibt es Freilichtkino und Wein und Tanz am Feuer. Ich bewundere, wie alles zusammenpasst. Man merkt, dass die Jungs ihre Gartenwoche schon öfter gemacht haben. Ich genieße, wie mich Bambus, Blumen und Johannisbeerbüsche im Vorbeigehen berühren, streife durch versteckte Ecken des Grundstücks, schaue in den Himmel und habe schmutzige, nackte Füße, die nach Lagerfeuer riechen. Ich mag die völlige Ruhe, mit der jeder einer Aufgabe nachgeht oder einem Gespräch. Der Musik oder den Gedanken nachhängt. Der Garten ist ein kleines Paradies.