Category Archives: Tagebuch

Sechsspurig

Der Luxus, den es darstellt, den Duft des Tages zu tragen. Ich wähle zwischen frisch limonig, füllig blumig, herb mediterran und cremig süß. Ich unterhalte mich mit Märchenprinzen und Grenzwertpädagogen, mit Gitarristen, Christen und Japanliebhabern. Es gibt Sushi am laufenden Band. Ich lebe in einer Welt, die schreiend bunt ist, in einer Großstadtwelt, in meinem Kopf, voller Taxen, Bars, Bahnhofsbuchhandlungen und Hotels. Alles steht unter Strom, ich segle übers Lichtermeer. Mein Kiel reitet Menschenwellen, Samstagsgesichter, Shoppingmeilenschwärmer. Wie sich unter mir Tiefgaragen in die Erde und über mir Hochhäuser in den Himmel graben, ein gewaltiges Stahlgewächs. Sechsspurig, großspurig, ich gehe halbblind über rote Ampeln. Eitel, satt und Henry Miller lesend. Du bekommst das Mädchen aus der Stadt, aber nicht die Stadt aus dem Mädchen.

Zum Nikolaustag

Weihnachten soll verrecken. Ich bin traditionssatt. Behaltet eure Predigten für euch. Behaltet eure Christenfeste, die von oberster Stelle verordnet werden, ob ich will oder nicht. Lasst mich doch endlich mit dem Firlefanz in Ruhe. Bin ich nicht langsam alt genug. Lasst mich meine eigenen Feste feiern. Derer gibt es genug. Ich beschenke, ich liebe, wen ich will, wann ich will, in flirrender Sommerhitze, im herbstlichen Sturm. Ich schenke gern. Aber lasst mich frei in meinem Schenken. Lasst mich kommen und gehen, wie ich will. Oma ist enttäuscht, dass ich an Weihnachten nicht da sein werde. Sie will den immergleichen Tag wiederholen, in der Kirche mit der miserablen Orgel, dem peinlichen Chor, dem schläfrigen Pfarrer. Nein Oma, ich bin kein Kind mehr und will keins sein und keines haben. Nicht so.

Nacht und Nebel

Ich beginne meine Reise an einer jener Tankstationen, die überall gleich aussehen. Das Nirgendwo beginnt, sobald mein Wagen auf die beleuchtete Insel rollt. Eben noch war ich an einem Ort, den ich mit viel gutem Willen ein Zuhause nennen könnte. Plötzlich könnte ich überall sein, die Zapfsäulen sind gleich, die Parkplätze, die Leuchtschriften sind gleich, die Zeitschriftenregale und das Snackbuffet, alles gleich. Bei solcher Nacht und solchem Nebel ist meine Kapsel Musik alles, was übrig bleibt, sobald ich eine gewisse Geschwindigkeit überschreite. Ein Cockpit voller kleiner Lampen, angenehm warm, das Motorengeräusch versinkt in Gleichförmigkeit. Es ist sinnlos, an eine Welt zu denken, da ist keine. Die dünne Außenhaut des Wagens ist auch meine Haut geworden. Gelegentliche rote und weiße Lichter tupfen eine Minimalstruktur ins Nichts. In blindem Vertrauen, dass die Straße kein jähes Ende haben wird, rausche ich weiter und weiter.

Hurensöhne und Barmänner

Bei einem Tag, der mit bilderbuchrotem Herbstlaub, einer Tasse Kaffee, Rührei und Sushi beginnt, ist es nicht verwunderlich, dass er in der Bar eines Schlosshotels endet. Dass sich selbige seit wenigen Wochen nur wenige Fußminuten von meinem Schreibtisch und meiner Badewanne befindet, tut der Sache keinen Abbruch, im Gegenteil. Auch der schwarze Barflügel passt ins Bild, und Ronny, der beflissene Kellner, der in seinem frisch eingerichteten Habitat noch etwas nervös herumhantiert und aussieht wie ein Serienspion, der den Barjob nur als Cover benutzt. Ein Roman ist wie ein zusätzlicher Langzeitgeliebter. Selber Zeitaufwand, selber Nervenaufrieb. Der einzige Unterschied ist, dass er weniger Eifersucht bei seinen Rivalen erzeugt. Bis jetzt zumindest. Dass er dreimal so gut fickt, muss ja keiner wissen. Oh Mann, und dass nichts und niemand sonst so viel Arbeit kostet wie dieser gottverdammte Hurensohn. Meine Geduld geht längst an Krücken. Nein, sie sitzt sogar tatternd und sabbernd im Rollstuhl. Aber meinem Perfektionismus ist das egal. Der lächelt und schiebt sie fröhlich durch den Park. Füttert ihr hin und wieder etwas von den Brotkrümeln, die er auch den Tauben hinwirft. Mag sie den Verstand verlieren, denkt er, mag sie sabbern und keifen. Er weiß genau, dass er die Alte durchkriegen wird.

Abendgekrächz

Als hätte ich nie gelernt, was meine Gefühle bedeuten. Als wäre ich erst ein paar Wochen alt. Ein taufrisches Wesen, im Körper einer halbwegs erwachsenen Frau und mit dem Verstand einer studierten Besserwisserin. Dieser Verstand sucht sich oftmals einen Weg durch meine Gefühlslandschaft, kartografiert und wundert sich. Alles neu. Im Nebel irren oder Brotkrümel streuen. Ich bin ein Winterwunderland und im Frühling weiß man nie, was unter der Schneedecke herauskommt. Das rote Ledersofa steht mal hier, mal dort. Ich mag das Geräusch leerer Zimmer. Ein leichtes Hallen, als sei hier noch niemand eingezogen. Immer wieder heißt es, wir sollten doch wenigstens Lampen aufhängen. Wer anderthalb Jahre keine Deckenlampen brauchte, denke ich, wird auch weiters keine brauchen. Ich öffne alle Fenster, durchlüften, einatmen. Eine Gitarre tupft watteweiche Tonflecken an die Wand, Musik, nicht nur im Kopf. Schwarze Vögel machen ein Abendgekrächz in den Bäumen. Es geht mir gut.