Category Archives: Tagebuch

Zuckerwattefelder

Es gibt Tage, an denen die Realität Schlieren zieht. An denen Du betrunken bist, bevor Du Dich irgendwo hättest betrinken können. An denen alles, was passieren könnte, die gleiche Wahrscheinlichkeit hat. Dass Du Post haben wirst, ist genauso wahrscheinlich wie dass sich einer Deiner Schüler einfach in Luft auflöst oder dass aus Deinem Briefkasten Butterblumen wachsen. Zumindest in Deiner Wahrnehmung. In der nichts mehr klare Grenzen hat. Und wenn Du nicht aufpasst, verschmilzt Du mit einem anderen Menschen. Also hältst Du Blickkontakte lieber kurz. Welch ein komplexes Vehikel mein Körper ist, denkst Du, und staunst über die Präzision, mit der Du es bedienst. Mit der Du es durch Zuckerwattefelder steuerst, um Deinen Geist zurückzulocken ins Hier und Jetzt. Irgendwann kommt er angekrochen. Hat Worte mitgebracht, wie so oft, von seinen Irrfahrten.

 

Bettgeschichten

Von Feennestern und Lockstoffen ist die Rede. Auf Postkarten. Und Augustinus finde ich auf comichafter Bettwäsche wieder. Ama et fac quod vis. Leicht verfremdet hat er es in die Popkultur geschafft. Und dass Laotse und Heraklit unter der selben Decke steckten, wusste ich ja schon lang.

Höhengier

Mit Zigarillo zwischen den Lippen, und José González legt mir seine Slow Moves ans Herz. Die höhengierigen Flügel im Zaum halten.

Literarische Landkarte

Die zwei Meter hohen Schneehaufen neben der Straße sind angeschmolzen, liegen als dreckige Monster herum. Es schneit darauf. Bald tragen sie wieder ihren flauschigen Schafspelz. Dafür sieht die weiße Katze im hellen Schnee plötzlich schmutzig aus. Ein Thunfischsalat reicht, lesend, von Würzburg bis Fulda. Grünen Tee bestelle ich auch. Und bevor ich wieder umsteige, eine heiße Schokolade zum Nachtisch. Quer durch die Republik, fürs Textgefühl, für die Fingerspitzen und um weiter an meiner literarischen Landkarte zu zeichnen. Auf dem Rückweg, den Blick geschärft, dass ein guter Schreiber nichts als ein aufmerksamer Leser ist, Richtungswechsel in Frankfurt, bei trübem Wetter. Wir überqueren den Main, er kennt mich noch. Sieht aber betäubt und traurig aus. Schließlich ein Linsengericht zwischen Mannheim und Stuttgart, es wird kalt, und bis Ulm erfriere ich halb. Mal mit einem Bein neben der Gondel baumelnd, arbeitend und wartend und vermissend, und nichts bewegt sich. Mal von meinem Riesenrad in den Himmel gerissen, Schwindel, ein luftiger Morgen, weite Sicht, und alles auskostend, mit Gänsehaut und Glücksgesicht.