Ich atme die Herbstluft. Ein paar wenige Sträucher kommen erst jetzt zu voller Blüte. Ich hole mir eine Dolde rosafarbener Hortensien herein und einen Bund tiefvioletter Blüten, deren Namen ich nicht kenne. Manchmal finde ich eine Tüte Äpfel oder Quitten vor der Haustür. Ein paar Vögel haben bereits begriffen, dass mein Hinterhofgarten eine lohnende Anflugstelle für den Winter sein wird. Sie bevölkern die Teppichstange, trippeln um die Tränke und wenn die Futterglocke leer ist, durchkämmen sie den Rest des Hofs. Gefiederte Miniratten.
Wie ich da vor die Haustür trete, komme ich gleichzeitig aus einem tiefen Loch, das nur zwei oder drei Wochen lang war und sich doch wie eine trostlose Unendlichkeit anfühlte. Wer immer im Hier und Jetzt lebt, dem wird jeder Tag zur Ewigkeit. Ich zittere noch ein bisschen. Außerdem habe ich erhöhten Taschentuchverbrauch und brühe mir einen Bronchialtee nach dem anderen auf. Endlich habe ich wieder etwas Zeit zu lesen. Ich finde ein schwedisches Buch und bin entzückt, wie viel ich noch verstehe. Dabei sollte ich eigentlich Italienisch lernen. Ich skizziere Schirme. Ich habe ein bisschen Angst, die Löcher in meinem Leben könnten mehr und tiefer werden. Ich erkundige mich nach Klaviertransporten. Und fische mein Selbstvertrauen silbenweise unterm Sofa hervor.
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Kleinstadtbar
Tagsüber steht das Fenster der Buchhandlung ein Stück weit offen. Das Fenster zum Hinterhof, meine ich. Wenn ich im Garten bin, höre ich hin und wieder einen Kunden stöbern, ein leises Räumen, Handgriffe, manchmal eine gedämpfte Frage. Ein Schuber mit Landkarten steht auf dem Fensterbrett. An der Wand rechts die ganzen Hardcovers, und ich schwöre, ich kann die Bücher bis in meinem Garten riechen.
Ich erkunde die Fußwege der Kleinstadt. Finde einsame Brachwiesen am Bach. Ich liege in der Sonne. Rette mir einen ganzen Tag durch diese Sonnenhalbstunde. Ich presse mir eine Hand voll Heu unter die Nase. Inhaliere den altbekannten Duft. Ich schaukle. Schließlich springe ich mitten im Flug von der Schaukel. Denke an all die Dinge, die ich als Kind fraglos tun durfte und die mir heute oft skeptische Blicke einbringen. Nicht von den Kindern. Von Erwachsenen natürlich, oder denen, die sich für besonders erwachsen halten, wie Teenager zum Beispiel. Immerhin, denke ich, viele von denen sind schon größer als ich.
Während die Teenager dann ins Bett müssen, bestelle ich meine erste Margarita. Ich lecke an ihrem Salzrand herum und studiere beglückt die Frühstückskarte. Ich diskutiere und bekomme mein stolzes Näschen poliert. Nebenbei freue ich mich über die Tauglichkeit der Kleinstadtbar. Einen doofen Namen hat sie trotzdem.
Starklicht
Ich verbringe zehn Minuten damit, einer gleißenden Freude zu erliegen.
Dass man einer Freude erliegen kann, sollte ich vielleicht erklären. Es ist die Art von Freude, die mit heißen Tränen kommt, Dich durchschüttelt, die alles Unnütze wegbrennt und den reinen Kern hinterlässt. Es ist eine Freude wie Starklichtfackeln, die Sicht freibrennend, Wege weisend. Ich weiß, Rührung ist ein schmieriges Wort, aber in diesem Moment rührt sich alles in mir, Erdbeben sind das, Kontinente verschieben sich, formen eine neue Welt, eine Morgentauwelt, eine ganz junge.
Nachdem ich der Freude erlegen bin, ausgeheult habe, öffne ich eine Datei und tippe.
Festgier
Ich degustiere Absinth. Nur eine Zunge voll. Mit der Wasserkaraffe, den schmucken Gläsern und Löffeln und dem Zuckerstückchen warte ich. Bis später. Bis würdiger Besuch da ist.
Eine Lebenssucht macht sich breit, eine Feierwut, eine Festgier, diese saftige Augustlaune, die später in jedem reifen Apfel steckt und die jeder Wurm genauso liebt wie ich. Mehr als einmal zertanze ich zu massiver Beschallung meine imaginären Prinzesspantoffeln. In den Morgenstunden kommen manchmal die Cops.
Die Arbeitswut ist auch da. Ich schreibe von einem Monalisalächeln und von Mistböcken. Ich schleife einen Holzblock ab. Obendrein bin ich wissbegierig und quirlig wie ein kleines Mädchen. Oft sehe ich Sternchen vom vielen Rumhüpfen.
Erdnussbutter und Sommerflieder
Ich mache mal wieder Stiftung Nachtlebentest, trinke, lounge, tanze. Attestiere den meisten Diskothekenkonzepten Hohlheit. Allein die Werbeposter sind selten nichtssagend. Im Sinne von selten dämlich. Die Musik ist zu langsam, der Sound zu monoton, die Drinks sind zu dünn. Meinen Club, meinen Tempel, muss ich wohl noch finden, denke ich.
Ich nasche Erdnussbutter. Ich kriege jede Menge russischen Spam. Ich fahre nach Paris.
Mich erwarten Crêpes, Kreolisches, Sushi, kleine Einkaufsbummel und lange Spaziergänge. Wie gekonnt meine französische Freundin mich verwöhnt, nimmt mir jedes Mal den Atem. Wir pflücken Tomaten, Birnen, Erdbeeren, umwandern Châteaus, liegen im Garten einer Glasbläserei. Sie genießt es, wenn ich genieße, sagt sie. Sie behandelt mich wie ein liebgewonnenes Kind, wie eine heimliche Vertraute, wie den seltenen Gast, der ich bin. Die Wünsche auf meinen Lippen, manchmal ist es unheimlich, mit welcher Leichtigkeit sie ihnen nachkommt.
Die Erfüllung eines dieser Wünsche liegt in la Queue-lez-Yvelines. Dort gibt es eins der Glashäuser, die voller Schmetterlinge sind, und wir machen einen Roadtrip, wir fahren hin. Hunderte exotischer Falter umflattern mich da, fuchsrote, tiefblaue, schillernde, geäderte, geäugte, manche tragen Sonnenuntergänge auf ihren Flügeln, andere smaragdgrüne Mosaiken, wieder andere haben transparente Flügel, die aussehen wie schwarze Spitze. Hin und wieder senkt sich tropischer Dunst herab. Von irgendwo dringt leise Musik, fast wie in einer guten Bar. Ich betrachte Flügelvenen, Facettenaugen, filigrane Rüssel, die begehrlich in Blütenkelche gestoßen werden, gefiederte Fühler, sich paarende Falter, Puppen, Sommerflieder und die trägen Piranhas im Teich. Ich verliere mich in Details.