Category Archives: Tagebuch

Königskind

Wir sollten öfter mit dem Finger gegen die Betonmauern dieser Welt tippen, denke ich, und merken, wie viele davon aus Pappe sind. Es schadet auch nicht, ein Teppichmesser in der Tasche zu haben, um bei Bedarf kleine Türchen in die Pappfestungen zu schneiden. Solange sie dabei nicht allzu sehr wackeln, fällt es niemandem auf.
Die Flasche steht unter Druck, ich verschütte Schaumwein quer durch die Küche. Später trinke ich meinen unstilgemäßen Kir und weiß tatsächlich nicht mehr genau, wie ich ins Bett gekommen bin. Ich wache auf, denke an Hylas und seine Nymphen und hoffe, mein Mitbewohner wird nähere Details liefern können, beim Frühstück.
Alles in allem lebe ich ein königliches Leben. Bade in Edeltannenextrakt und anderem Bullshit. Lese gute Bücher. Lasse mich von der Musik klarwaschen. Lebe, liebe, gern bis zum Anschlag. Besitze von allem in etwa so viel, dass die Sachen mich glücklich und nicht unglücklich machen. Verfüge über Möglichkeiten, meine geliebten Traumgebilde immer wieder Realität werden, die kringeligen Ideen über den Topfrand meiner Hirnschale hinauswuchern zu lassen. Habe Freunde. Und plane ein Kindergartenfest mit Ringelpiez, Feenkuchen, Absinth und Nachtwanderung.

Tröpfchenweise

Es gibt Tage, die Dir mit einem Mal eine ganze Stange Glück schenken. Dann ist es gut, eine Küche zu haben, die groß genug ist, darin zu tanzen. Anschließend liegt die Stange Glück da wie eine Droge. Du pulverisierst das Zeug. Du lachst. Zitterst ein bisschen, willst alles nehmen, willst Dir den goldenen Schuss geben. Aber aus irgendeinem Grund geht es nur tröpfchenweise. Die Realität und ihre Beschaffenheit retten Dir das Leben. Du würdest so gern am Glück zu Grunde gehen. Wie der Falter im Licht verglühen. Naja. Vielleicht solltest Du froh sein.

Da capo

Wenn die Musik den Raum flutet, beginnen meine Muskeln von allein zu spielen. Als würde ich selbst diesen Flügel bearbeiten, als wäre es mein Schweiß, der an den Basssaiten klebt, als wäre ich der Tänzer, für den eigens dieses Stück geschrieben wurde.
Ich fresse mich in die Musikwelt hinein wie eine Säure. Dringe tiefer und tiefer ein, verschlinge, verarbeite. Vielleicht ist es in Wirklichkeit die Musik, die mich verschlingt, mich verarbeitet. Crescendo. Espressivo. A capriccio. Cantabile. Da capo. Da capo al niente.

Brandpfeile

Ich stöbere in meiner Vergangenheit. Und finde die Spuren einer törichten Verliebtheit. Sie schießt feurige Pfeile bis ins Jetzt. Es gibt Menschen, deren bloße Existenz aufregend ist.

Papplibellen

Am Morgen baue ich mit italienischen Kindern Windräder. Die Rotoren sind rotweiß, steife Papplibellenflügel. Mittags gibt es kein Essen, sondern ausgiebigen Schlaf. Am Nachmittag hole ich frische Blumen und einen Kasten Bionade ins Haus. Abends kommen die Lachsbrötchen, Blätterteigtaschen und mandelpanierte Filets. Und schließlich die ersten Gäste. Man verliert sich in guter Musik, schlechten Witzen, Weihrauch und Wermutspirituosen. Gegen Mitternacht ist alles im Gang.
Wie eine Besessene nähe ich alte Baumwollreste zu einem Vorhang zusammen. Ich schreibe bunte Postkarten. Aus den Listen und Schablonen anderer Leute bastle ich ein eckiges Gedicht. Ich skizziere Schirme, Menschen und seltsames Gezwiebel. Ich jage meinen Schatten.