Ob ich vor Freude, Vorfreude oder vom Kaffee überdreht bin, spielt keine Rolle. Alle drei sind da, die Freude, die Vorfreude, der Kaffee. Manchmal, wenn die aufwallenden Energien über meinen schmalen Reagenzglaskörper hinausquillen, wenn auch kein anderes Gefäß sie mehr hält, muss ich hinaus und laufen. Vorbei an Apotheken, Asienrestaurants und Pferdekoppeln. Über Marmortreppen, Verkehrsinselbüsche und Schulzäune springen. Ich kriege mich schon leergepumpt. Unterwegs pflücke ich einen Sonnenblumenkopf und trage ihn wie das olympische Feuer nach Hause. Beim Runterkühlen kribbelt mir die Haut. Ich möchte keinen anderen Körper, kein anderes Leben. Als ich aus der Badewanne steige, das Fenster weit aufreiße, begrüßt mich Herbstfrische und Krähengekrächz, ein neuer Tag schwappt mitten in den alten hinein.
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Herbstmoleküle
Ich atme die ersten Herbstmoleküle. Wenn es kalt ist, packe ich mich in den Norwegerpulli und streife durch die Stadt der Quellen. Das Türkis über dem Sand tut beinahe weh mit seiner Klarheit. Cyanblau, Lichtgrün, Wasserjade. Junge Forellen tummeln sich darin, haben Glück, können in dieser Klarheit schwimmen, tagein, tagaus.
Ich lerne, wann ich die Zügel loslassen, lerne sogar, wann ich mich abwerfen lassen muss. Schauen, wohin das Pferd rennt. Es geht nicht immer um Kontrolle. Manchmal geht es auch einfach um den Dreck an Deiner Hose. Um den Schmerz in Deinem Knöchel. Um die Schönheit des Pferdes, dessen wippender Arsch über den Hügel verschwindet. Oder um ganz andere Dinge. Ums Aufsammeln der Pfauenfedern. Um den Geruch des Leders, wenn Dein Kopf spätnachts neben Deiner Tasche im Bett zu landen kommt. Um Gartenliebhaber, Rosenkinder, Antiquitätenhändler, Künstler und Krautzüchter. Um Apfelstrudel. Um die simple Befriedigung, sich einen Spreißel aus dem Finger zu ziehen.
Ich knie lieber vor Schildkröten im Aquarium nieder als in irgendeiner Kirche. Ich tanze zu Nine Inch Nails. Ich male ein Bild fertig. Ich fliege. Ich warte.
Paradiesvogel
Mein Schlafrhythmus ist durcheinander. Ich arbeite zu langsam. Ich füttere die Goldfische im Nachbargarten. Erhalte Gesprächstherapie im Bett, habe Ideen und Herzklopfen, kuriere einen Fall von sozialer Überfressenheit aus. Paradiesvogel, schreit ein Mann aus dem Fenster und meint mich.
Ich wache auf einem Hügel auf. Die Sicht ist glasklar, bis in die Schweizer Alpen kann ich sehen. Der Schnee strahlt über alles herüber, über Zürich, den Bodensee, über Oberschwaben. Ich lächle unter meinem Sonnenhut hervor diesen Bergen und ein paar fremden Jungs auf ihren Fahrrädern zu, bin müde und elektrisiert zugleich, kühle meinen Nacken mit Brunnenwasser. Schön wie eine Erbsenblüte müsste man sein, denke ich, auch wenn das nicht genügen würde, auf Dauer. Und die Durchschlagskraft eines Güterzuges in voller Fahrt sollte man haben. Die Präzision eines Scharfschützen. Ein Anfang wäre das.
Wegfinder
Ich stifte ein Fest, das so lang ist, dass ein Gast zwischendurch von Ulm nach Stuttgart fahren kann, dort schlafen und wieder zurückkommen, weiterfeiern. Pianisten, überquellende Buffets, Tanzwut und Trinkseligkeit, Morgendämmerung im Garten, Aufbruch an den See, Musiker auf Decken verteilt am Strand, Gesang und Gelächter bis in die Nacht, Sand zwischen den Zehen und Trauben im Mund, manchmal umgekehrt. Müssten die Leute nicht irgendwann arbeiten, wer weiß, hätten wir vielleicht ein weiteres Morgengrauen überdauert. Sorglos, glücklich, aber nie zufrieden, wandle ich durch das alte Haus, knacke zwei der merkwürdigsten und deformiertesten Glückskekse, die ich je gesehen habe. Einer der Gäste hat sie mitgebracht, sie schmecken gut und erzählen von tanzenden Zulupriestern und Sphinxnaturen. Ich verlebe Musentage und erleide Mückenstiche, der Preis des Sommers, den ich gern und willig zahle. Ein blutbezahlter, festtrunkener, wilder Sommer, denke ich. Ein Wegfindersommer, ein unbändiger.
Sternschnuppen eimerweise
Ich sehe mir Statistiken an, Webstatistiken, die Statistiken der alten Villa, mit welchen Suchbegriffen die Menschen in meinem Club landen. Augustlaune. Krawattenrock. Ficken im Jugendstilbad. Feenschaukel. Kaviarmaul. Sensenmann. Meine Worte, losgelöst, vereinzelt, durch fremde Köpfe schwirrend, in fremden Zusammenhängen, ermuntern zum Eintreten in das altehrwürdige Tor. Brotkrumen, Lockstoff, Sprachpralinen.
Und immer wieder die Tage, an denen ich in diejenigen Fahrwasser zurückgleite, in denen ich gern den Rest meines Lebens verbringen würde. Es wird nicht gehen, nichts ist perfekt, aber es gibt sie. Die Stunden, in denen mir Sternschnuppen eimerweise in den Schoß fallen. Nächte, in denen ich Zentauren reite. Umarmungen, die mich durch die Luft wirbeln wie ein Kind. Eingebungen, die so sicher sind, dass ich heulen könnte vor Gewissheit.
Ein Blick aus dem Fenster, Sonne, Wolken, ein taubenblauer Mix. Alles nach Plan, sage ich. Selbst wenn später ein Sommerschauer niedergehen sollte, was kümmert’s uns. Macht Regen doch nur jeden Duft intensiver, jede Pore empfänglicher, kitzelt, neckt.