Ich trete auf ein Stück Schneiderkreide, es bricht in zwei Hälften. Swimmingpoolfarbene Acrylfarbe hat mir eine Haarsträhne verklebt, ich muss sie abschneiden. Ich klebe Papierfetzen auf eine bemalte Leinwand. In Schloss Neuburg an der Kammel wird Kaffee serviert, wir haben den Portraitsaal ganz allein für uns. Der Flügel im Foyer, der grüne Salon rechts, das Kaminzimmer links, Wandteppich, antikes Mobiliar, eine Servicekraft für jeden, Millionäre könnten keinen stilvolleren Sonntagnachmittag verbringen. Altehrwürdige Blassgesichter, sechzehnhundertzwölf, sehen uns beim Hantieren mit Milchkännchen und Silberlöffel zu. Draußen äsen die Damhirsche.
Ich bin in München, trinke dunkles Bier, schnuppere mich durch den Viktualienmarkt und pflege Konversation mit den Gänsen im Englischen Garten. Ich komme nach Frankfurt, nehme die Sechzehn Richtung Ginnheim. Elena hat schon ein Bett für mich gemacht. Zurück in Ulm, ich bringe Florian Heinke mit, trage das silberne Paillettenkleid, tanze. An den Wänden Beamervisuals, insektenartig, mikroorgamismenartig, codig, maschinenhaft. Wenn das Wetter es zulässt, ein Morgen im Garten, Islandmohn, Buschwindröschen. Wenn ich die Augen schließe, weiß ich, wie sich ein Samenkorn fühlt, dicht unter der Erde, sonnenwarm.
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Extratief
Das Aprilwetter im gelben Regenmantel durchstiefeln. Nicht alles perlt an mir ab. Ein Zweifel dringt durch bis auf die Haut. Ich fröstle, bis ich merke, dass er nicht aus Angst, sondern bloß aus Ungeduld besteht. Ich wische ihn weg, stopfe das Buch in meiner Hand unter den Mantel und suche mir einen Weg durch extratiefe Pfützen. Grüble, warum ich diese niederbügelnde Melancholie ausstrahlen kann, die mir nur auf Fotos richtig bewusst wird. Frage mich, ob das Element des Zufalls für das Schöne unabdingbar ist. Überlege, warum ich abstrakter denke als mir lieb ist. Warum ich nicht einfach mal an Pfannkuchen denken kann. Oder an Serifenschriften. Daran, dass die Mülltonne rausgestellt gehört.
Lassowerfer
Kiefernzapfen schnalzen in der Sonne. Ich säe Goldmohn. Die Zukunft hat einen filigranen Riss. Ob er aufspringt, was herausquillt, wenn er bersten sollte, erwarte ich mit derselben Spannung wie das Ende eines guten Films.
Während ich übers Land rausche, ein Sonnenbrillenblitzen hinter der Windschutzscheibe, stemmen sich Beats von Benny Benassi zwischen die Fahrzeugsäulen. Ich treffe Lassowerfer und Nichtlassowerfer. Bestelle Waffeln mit Puderzucker. Lese Klappentextentwürfe und mache mir Titelgedanken. Begleite Fran Lebowitz durch New York. Nein. Langweilig wird es nicht.
Haisurfen
Ich füge meinem Manuskript eine Prise Umsturz und Terror hinzu. Frage mich, was es bedeutet, von Kaffeebohnen zu träumen. Draußen klirren die Wolken vorbei. Hinter ihrer kalten Grauheit lauert schon wieder so viel Frühling. Die Krokusse treiben mandarinfarbene und hämatomblaue Köpfe aus dem Boden, das aufgeregte Vogelgeschwirre um meine Sonnenblumenkerne, und all die menschlichen Flattereien, Kapriolen des frühen März. Wie eine Welt, die im Grunde sehr einfachen Regeln folgt, doch so komplex sein kann.
Du kannst entweder im Ozean zappeln und von einem Hai gefressen werden, sagt er, oder auf den Wellen surfen und das Beste daraus machen. Ich studiere seine Tätowierungen, welche Spielkarten da links und rechts unter die Haut seiner Arme gestochen sind. Ich frage, ob ich auch den Hai surfen kann. Er runzelt sie Stirn. Ganz zufrieden mit meiner Antwort scheint er nicht.
Heißhunger
Die Fingernägel in dunklem Stahlgrau, als ließe sich so der eigene Verteidigungswert erhöhen, Armbänder, Nieten, der Geruch von Leder. Dabei ist fürs Essengehen im American Diner überhaupt kein Verteidigungswert nötig, allenfalls etwas soziale Geschmeidigkeit inmitten des freitagnächtlich aufgeputschten Menschenschwarms. Auch später, in aller Stille, beim Kokosfleischknabbern, ist Abwehr nicht vonnöten. In aller Stille, welch schönes Idiom, denke ich.
Was ich an Teenagern schätze, ist ihre ungebrochene Sehnsucht nach Coolness, ihr schamloser Genuss von Luxus und die Fähigkeit zum Sichgehenlassen. Dieser Heißhunger. Genau den bewahren und die Weisheiten Stück für Stück dazugewinnen, das ist Leben.