Category Archives: Tagebuch

Klamottenlasagne

Ich komme nach Hause, klappe den Koffer auf, Klamottenlasagne, räume nicht auf. Noch bin ich nicht messekrank geworden, obwohl ich Sibylle Bergs Handdesinfektionsgel abgelehnt habe. Oder gerade weil. Ich will eins von den Kindern sein, die mit Dreck spielen, alles anfassen und genau deshalb niemals krank werden. Vielleicht kostet mich dieses Wollen mal Kopf und Kragen.
In Frankfurt höre ich einen Penner schnarchen, so laut und dröhnend, als trage er einen riesigen Hohlraum in sich. Eine Brustkorbgrotte, die eigentlich in keinen Menschen passt, die große Leere. In mir, als ich auf die Straßenbahn warte, ist es ganz anders, ganz voll, dicht gedrängt, das Glatte, das Stopplige, das Perlige, das Flauschige, das Knistrige, das Knackige, das große Bunte. Fast zu gedrängt, schon im Mainnizza droht leichtes Durcheinandergeraten, ein Schluck Fleisch, ein Bissen Fanta.
Für die nächsten drei Wochen kann ich keine dicken Hipsterhornbrillen mehr sehen. Entferne Kugelschreiberlinien von meinen Schuhen mit dem Aggressivsten, was ich im Haus finde, mit siebzigprozentigem Absinth. Das Rascheln von Maispflanzen, ein neues Lieblingsgeräusch, ein Herbstlaut, Erntezeitwispern. Alles ist in Bewegung. Den Holzbalken nicht so betrachten, als sei seine graue Stämmigkeit für immer, denke ich und stoße mir den Kopf daran. Windmühlenreiter. Trotzkind.

Schreiende Büsche

Eine ganz normale Geburtstagsparty. Einzig die Musik lässt mich manchmal aufhorchen. Ich bin in der Paillettenphase, Glitzerfee, sagt einer. Ich muss an Kostüme aus Star Trek denken. Quatsch, Prinzessin Leia, sagt ein anderer, der Zopfschnecken wegen. Also doch Star Wars. Ich erfinde das Ratlosigkeitsbekämpfungslichtschwert.
Ein Interview in der Badewanne, eine schlaflose Nacht, ein Spaziergang ans Ende der Welt. Dort, an diesem Weltende, gibt es ein Dorf, das nach Kühen und Schafen riecht. Die Bewohner grüßen mich nicht, manövrieren nur weiter ihre Schubkarren von Misthaufen zu Misthaufen. Dafür versammeln sich Hunde und Katzen um mich, die Anwesenheit eines Fremdlings ist das Highlight ihres Tages. Fruchttragende Sträucher hängen voller Spatzen. Schreiende Büsche, denke ich.
Buchmesseticket, Bleistiftskizzen, ein verunglückt rosafarbenes Buch, zerrissene Feinstrümpfe aussortieren, Romanseiten verschlagworten. Wir bauen jeden Tag an dem, was sowieso zerbrechen wird, am Schnörkeligen, am Knallbunten, am Raffinierten, am Monumentalen. Jemand reicht mir ein duftloses Blümchen rüber. Auch Beichtväter müssen hin und wieder beichten.

Serpentinen

Arbeiten, Kaffee, Gespräche zwischen Tür und Angel. Stuttgart, Frankfurt, Köln, Berlin, notiere ich geistig, reihe sie geografisch auf, so wie man reisen würde, damit ich mir die Städte merken kann. Ich kaufe zu viele Klamotten, höre zu viel Musik. Manchmal hilft nur noch eine Nacht mit Roggenbrot, Schwarzbier und Banjoklängen. Ich will die Zunge eines Bisons berühren. Ich will unförmige Frauenkörper zeichnen. Ich will mich in Herbstwiesen verlieren und, vor allem, das Ende der Zeit nicht sehen. Nachts träume ich, meine Nase in helllilablassblauer Baumwolle zu vergraben, träume Vertrautheit in das fremde Hemd hinein. Ich muss hochschalten, ein, zwei, drei Gänge, muss den Ruck verkraften, nicht krank werden. Überhaupt muss ich weicher Kuppeln lernen. Zum ersten Mal: Serpentinen.

Pappwände

Ich schaffe es nicht, ein einziges Mal Nudeln zu machen, ohne dass alles überkocht. Ich versuche, keine metaphorischen Bedeutungen hineinzulesen. Ich suche Sonnenblumen, finde tote Mäuse, Bäume voll reifer Äpfel. Du kennst dieses Gefühl, wenn nichts perfekt ist, der Sommer blättert ab, du musst Kompromisse eingehen, der Kühlschrank ist leer, und trotzdem läuft alles richtig. Genau richtig. Unausgesprochene Weisheiten, Feuilletonausschnitte, Programmhefte, einvernehmliche Ferne hier, leicht niederzureißende Pappwände da. Das Lampenfieber, die Urlesung, alles läuft. Trotzdem jung und dumm geblieben. Die Donaumöwen lachen.

Olle Doofe

Wundertüte, nennt er mein Arbeitszimmer. Man weiß nie, was als nächstes drinnen ist, wenn man reinschaut, sagt er. Einen großen Falter aus dem Haus tragen. Eine blaue Libelle aus dem Wasser pflücken. Fliegen erschlagen. Interviews geben. Bettzeug waschen. Im Haus, im Hinterhof riecht es nach frischer Wäsche. Mal wieder staunend das Foto von meinem Ururgroßvater betrachten, stolz posiert er vor seinem Geschäft in Berlin. Keine hippen Retroeffekte sind nötig, vintager als das Uraltfoto geht es gar nicht. Sepia pur. Auch mein Opa ist Berliner. Der Krieg hat ihn in den Süden verschlagen, Viertelberliner also, ich. Olle Doofe, höre ich meinen Opa in mein Ohr raunen. So dass ich sofort zum kleinen Mädchen werde, mich verschämt unter dieser Liebkosung winde, wie damals.