Thomas Hobbes, Holly Golightly, Netzwerke und Machtfragen gehen durch meinen Kopf. Alles davon mehr oder weniger ziellos. Mein Nacken tut weh und ich befürchte leichtes Fieber im Anmarsch. Ich stelle mich in heißes Wasser.
Heute ging es mir sehr gut. Ich habe Sushi gegessen, Katharina wiedergesehen und heiße Schokolade getrunken. Der Regen hat meine Hosenbeine etwas nass gemacht, im Café bin ich neben Rainer fast eingeschlafen. Bei diesem, dem Mann mit Hut, habe ich noch eine Fahrt auf dem Neckar gut und ich vergesse es immer wieder. So wie ein Anderer immer vergisst, dass ich ihm noch einen Kuss schulde. So schulden wir uns alle hin und her.
Vorstadtkinder
Die mittwöchliche Melange im Vorstadttheater begann, wie vermutet, mit Lampenfieber. Das Akkordeonensemble spielte Liebeserklärungen auf, Liebeserklärungen an ein verkanntes Instrument, so schrieben sie. Ein zittriges Foto dieser Instrumente ist in der Dunkelkammer bei den Veranstaltungen zu finden. Zeitgenössische Musik auf dem Akkordeon, das hat mir gefallen. Die Stücke haben manchmal fast etwas Eisiges. Das kann sonst nur die Orgel.
Mich selbst erlebte ich wie immer etwas unscharf, aber das ist normal. Auf der Bühne ist alles ein wenig anders als unten. Manchmal fehlen ganze Stücke des Bühnengeschehens in meinem Gedächtnis. Als gehöre die Zeit dort oben gar nicht mir. Manchmal gibt es aber Momente, die sich umso fester in meinen Kopf einbrennen. Zum Beispiel, wie Hans Peter und ich eine Hörsaalwand voller Schulmusiker mit einem Stück von John Cage in Atem hielten, extra langsam schmoren ließen und schließlich zum Platzen brachten. In Trossingen war das. Oder als ich auf der Bühne starb. Das war noch in der Schule. Sehr seltsam, sich so völlig gehen zu lassen und alle sehen zu. Mit Gesichtern sprechen, die ich oft vor Licht nicht sehe, das alte Lied.
Jazz zum Schluss hat gut getan. Bassisten sind ohnehin toll. Und dass die Stadtsheriffs von der Puppenbühne klasse sind, muss ich wahrscheinlich nicht extra sagen. Ein Ende fand alles mit Rotwein und Häppchen, in der Künstlerecke stehend, sich freuend und den Wein ins Blut rinnen fühlend, ein wenig Unsicherheit in den Gliedern, Flatterigkeit und Ruhe zugleich, und eine schöne, blinzelnde Müdigkeit, die an Schlaf aber nicht denkt.
Theologenbart
Ich gehe einkaufen und halte den ganzen Weg nach Hause eine Paprika wie den Reichsapfel in der Hand. Der Lauch wird wie ein Feind exekutiert. Auch die Toffifeearmee muss ihr Leben lassen, größtenteils. Die Milchtüte würde ich gerne mal platzen sehen. Aber nicht hier.
Akte vor der Staatsgalerie schießen ist denkbar. Kunstsinnige verstehen sowas. Akte im Bankenviertel ist schon eine Stufe heikler. Aber weil ich Lust auf Stadtlandschaft habe und ein Fotograf Ideen zu selbiger, wird Stuttgart wieder herhalten müssen. Jedenfalls haben wir Pläne. Auf dass die Herbstabende nicht zu kalt werden.
Zum Abschied küsse ich einen Freund und Theologen, seit Jahren nicht gesehen, auf die Wange. Dass er sofort für die Hölle und Sartre zu entflammen war, brachte uns auf Theatergedanken. Die alte Spielsucht. Wir plauderten, offener als erwartet, der zukünftige Pfarrer kennt das Leben, den Rauch, den Zwiespalt, die Kunst. Im Stift war es ruhig, wir tappten durch die dunkle Kapelle, blickten aus alten Fenstern in schmale Gassen, auf verwinkelte Dächer. Tübingen schmeichelte uns an. Als gäbe es was zu feiern.
Propheten
»Du wirst Erfolg haben. Mehr noch, und darum beneide ich Dich, Du wirst dabei glücklich sein«, sagte einmal jemand zu mir. Noch als ich zu schwachem Protest ansetzen wollte, aus Bescheidenheit vielleicht, wusste ich nicht mehr, was ich sagen wollte. Ich glaube nicht, dass ich etwas Angemessenes zu erwidern hatte. An guten Tagen, wie heute, glaube ich an die Prophezeiung. Dass man an Prophezeiungen nicht glauben muss, ist mir natürlich klar. Und oft genug bin ich ein Häufchen zweifelndes Elend. Das kommt von meiner Ungeduld. Dann aber kommen Tage, Stunden, die keinen Widerspruch dulden, so wie heute.
Der tägliche Fechtgang
Wenn das Kopfkino in vollem Karacho seine Bilder durchpeitscht, wenn die Musik aus meinem sogenannten Zufallsgenerator alle Nerven trifft, wenn Verrücktspielen zum täglichen Fechtgang gehört, ist das mein Leben. Der Auftritt im Vorstadttheater rückt näher. Und die Prüfungsliteratur mir auf den Leib. Manchmal würde ich gern im Unterhemd auf einem Balkon sitzen und nichts tun. Aber es ist Wirbel vorgesehen. Und einen Balkon habe ich nicht. Wenn ich den Kopf verliere, wächst mir im Schlaf ein neuer, wie gut. Ich habe Sehnsüchte, die wie ungestüme Pferde fortstieben. Kontrolle ist eine nette Lüge, um die Welt bei Verstand zu halten. Im Grunde ist alles okay.