Ich halte den Apfel ganz nah an die Nase. Sein Geruch erinnert mich an Gutes, Warmes, Moosiges. An die Bäume im Garten meiner Eltern. An die gelben, spitzen Blütenkelche, die jeden Frühling unter ihnen aufgehen. Mein Vater nennt mich immer noch sein Töchterle. Oder Maus. Er wird es immer tun. Hoffe ich. Ich bin nämlich gerne Tochter und Maus. Heute baute er mir einen Schrank zusammen. Der hat orangefarbene Türen, dunkelorange, und einen Spiegel in der Mitte. Der Apfel ist auch orange, an manchen Stellen. Ich sollte wieder den mandarinefarbenen Glitzerlack auftragen. Orange ist die Farbe der Saison.
Das Wochenende im Kloster am Blautopf, zugebracht in Gärten, Speisesälen, Seminarräumen und Hotels, hielt mehr als es versprach. Ich schöpfte Zutrauen. Ich sah über all die einsame Arbeit nun endlich wieder klarer. Und ich weiß, dass eine Menge weitere Arbeit auf mich wartet. Arbeit, auf die ich widerum gewartet hatte.
Dass William Blake sich schnöde vordrängt und mich abhält vom Eigentlichen, werde ich nicht ändern. Mein Staatsexamen hängt an ihm und an einem ganzen Sack voll anderer Dichter und Denker. Das Studium ist zu einem Raubzug geworden, den ich halbwillig, aber dafür mit umso weniger Skrupeln, antrete. Wenn ich schon eine Zulassungsarbeit schreiben muss, dann soll danach Blake und seine Welt mir gehören, ich werde mich vollfressen an seinem Tisch und in alle umliegenden Häuser Fackeln werfen. Ich muss aufpassen, dass ich heil davonkomme.
Nymphalidae
Mein Schmetterling ist giftig und gehört zur Familie der Nymphalidae.
Ich wurde geimpft und spüre schwaches Fieber. Ich bin zu faul, die Temperatur zu messen. Während ich drei Säfte mit Wasser mische, verwalte ich die Bilder in meinem Kopf. Ich werde noch eine Weile brauchen. Geduld.
Ozeanisches Blau, kupfernes Rot
Teamspeak und Nerdtalk. Wuthering Heights und Furious Angels. Kaffee und Zimt. Als sei es der ultimative Liebesbeweis, voneinander zu träumen, erzählen wir einander unsere Träume. Die Nacht ist dunkler als andere Nächte.
Mit diesem Eintrag verschiebe ich den letzten kommentierten Eintrag ins Archiv. Von wegen geschwängert. Fjonan sagt, meine Fingernägel sähen kindisch aus, mit dem Glitzerlack. Nein, teeniemäßig, sagt er. Ich freue mich aber, dass ich endlich den Orangeton gefunden habe, den ich suchte. Das Goldorange des Monarchfalters. Als doppelte Lackschicht ist es gerade satt genug. Erst vorgestern bemerkte ich, wie farbsüchtig ich bin. Herbstbäume, die mit ihrem Gelb oder Rot schamlos in der Sonne herumprangen, muss ich zwanghaft ansehen, sie verschaffen mir ein angenehmes, soghaftes Gefühl. Die Palette des Abendhimmels kostet mich manchmal den klaren Kopf. Ich denke an das unglaubliche Blau, das weit draußen das Meer hat. An das schöne Rot mancher Hausfassaden. An den Kupferglanz einer Feder, die ich noch vor Tagen in den Fingern hielt.
Metrik, Strophik und die Unsterblichkeit
Warum klingt die Heizung manchmal wie ein Orgelton und manchmal wie ein Drache, der im Schlaf seufzt. Wieso suche ich nach Unterschieden zwischen meinem linken und meinem rechten großen Zeh. Wo ist die Stopptaste für meinen Kopf. Zwischen den Beinen, zwischen den Beinen, wispert eine Stimme aus dem Bauch. Unter grauer Schurwolle ist alles ganz warm. Ich wollte den Kopf zum Schweigen bringen, jetzt redet der Bauch. Ich habe Lust auf einen großen Knutschfleck.
Am Dienstag besuchte ich ein Seminar der Germanisten im Hölderlinturm. Fühlte mich sofort zu Hause. Metrik, Strophik und die Unsterblichkeit. Beim Anblick des Flügels bekam ich Sehnsucht nach meinem Klavier. Vielleicht werde ich nun öfter dort sein.
Feinstrumpfhosen und Champagner
Als ich aus Frankfurt zurückkomme, finde ich im Briefkasten eine Einladung des Landratsamtes Alb-Donau zu einem Literaturseminar im Kloster Blaubeuren. Außerdem einen Glückwunsch zum zweiten Platz bei einem Tübinger Schreibwettbewerb. Wie sich das für eine Schriftstellerin gehört, denke ich. Erst kürzlich hatte ich mich nach einem ordentlichen Lektorat gesehnt. Die Betriebsblindheit wieder etwas abschütteln, Schreiber und Leser um mich, das hatte ich vermisst. Ich werde im Kloster mit Literaten frühstücken und im kleinen Schlatterhaussaal eine Sommerszene lesen.
Die Frage des Tages ist, warum eigentlich Feinstrumpfhosen immer so wahnsinnig schnell kaputt gehen. In Preis und Leistung sind Feinstrumpfhosen wirklich mit Champagner zu vergleichen. Leiden kann ich beides trotzdem sehr gut. Ich kaufe aber nur die Strumpfhosen. Champagner lasse ich mir, wenn überhaupt, reichen.
Während ich sardisches Fladenbrot knabbere, diesmal ohne Thunfischpaste, Riesengarnelen und Weißwein, denke ich, dass das jetzt genug Rumgesnobbe war. Gute Nacht, Volk.