Schwedische Seife

Es ist tatsächlich so: Noch bevor die Seife aus Stockholm gänzlich aufgeseift sein wird, werde ich die schwedische Hauptstadt wiedersehen. Ich freue mich. Ich stelle mir verschiedene Menschen im Hafen vor. Der Schal des einen Mannes weht im Wind, bis er ihn mit seiner breiten Hand in den Kragen seiner englischen Jagdjacke gesteckt hat. Der Mann sieht aus als wohne er in einem Hotel und habe gut gefrühstückt. Er wäre ein guter Gesprächspartner, aber er sieht mich nicht an, etwas Hochmut und etwas Schmerz ist in seinem Blick. Der andere Mann hat keinen Schal, dafür aber Kopfhörer auf den Ohren, so wie ich. Er geht rasch, einen Tick rascher als ich, wir schweben aneinander vorbei. Unsere Blicke lächeln, verraten das Wissen um die Musik, das Raten um die Musik des Anderen. Wir sind wie Filmgestalten, die keinen Alltag haben. Unsere Schritte sind viel zu weich für den harten Wind. Wir öffnen die Münder, es gäbe viel zu sagen zwischen uns, aber wir sagen es nicht, gehen weiter, das Lächeln jetzt sehr sichtbar, das verbindet uns.
Ich schneide mich an einer Dose und denke an etwas anderes.

Rost und Deo

Will ich Wein, Ketchup oder einen Granatapfel? Eine schöne Auswahl ist das. Ich habe außerdem Olivenöl, Lebkuchen und Kräuterbutter. Dank des Schokoladenfests kenne ich Stutenmilchschokolade. Ein Apfel ist auch da.
In der Drogerie stehen Antifleckmittel. Eines ist für Obst, Rotwein und Parfum. Eines ist für Rost und Deo. Eines ist für Blut, Milch und Sperma.

Schwarzpulver

Wir ziehen mit Fackeln durch die Stadt, irren laut lachend über leere Vierspurige, lachen das neue Jahr an. Feuerwerke beginnen aus allen Ecken zu schießen und doch sind kaum Menschen zu sehen. Bis wir an die Brücke kommen. Dort liegt sie, verqualmt, im Schwarzpulverdunst und voll betrunkener Menschenknäuel, aus denen unkontrolliert Explosionen und Raketen hervorschießen. Wir müssen hinüber. Also mitten hindurch. Neben den Füßen eines Mädchens explodiert etwas. An der Nase eines Kerls pfeift etwas vorbei. Ein anderes Mädchen wirft etwas in unsere Richtung und bekommt große Augen. Was immer es ist geht in die Luft. Wir bleiben unberührt. In den Ohren klingt es wie Krieg. Im Kopf aber ist es ein Fest. Oder im Herzen, wenn ich mich trauen würde, so pathetisch zu klingen. Es sieht leichtsinnig aus. Und obwohl wir die Brücke schnell passieren, rasche Flucht durch die Schusslinie, sind wir ein Teil des Leichtsinns und vielleicht sind meine Schritte deshalb so sorglos und ohne Schwere.
Wer ganz genau hinhörte, konnte unter dem Schießen das Geläut der Glocken hören. Inferno auf einer Brücke, das war mein Neujahrsfest.

Trauminventur

Die Wahrheit ist ein scheues Kind: Du musst sie mit eitlen Schauspielen locken. Solche Sätze träume ich. Ich träume auch, dass ich mit Nadeln spiele und irgendwann bemerke, dass es Dolche sind. Üblicherweise, wenn sie im Fleisch des Gegenübers stecken. Und manchmal träume ich, dass ich einen Schwanz habe, wie die Männer. Er ist schön und fest. Öfter träume ich aber, dass ich fliegen kann.

Moormädchen

Ich habe wieder Schlittschuhe. Endlich. Mein letztes Paar ist mir zu klein geworden. Ich war schon eine Weile nicht mehr auf dem Eis. Es ist Zeit zu sehen, ob es noch Eisfeen gibt. Ich freue mich. Mein Weihnachtsgeschenk an mich selbst.
Gut erinnere ich mich, wie die Moore bei dem Dorf, wo ich aufwuchs, gefroren waren. Ich lief übers Eis, zwischen moosigen Stämmen, verrottetem Holz, Luftwurzeln, Schilf und Raureifgras. Unter mir schliefen die Molche, tief vergraben im kalten Schlamm. Das Eis war nicht nur weiß, sondern auch dunkelgrün. Manchmal war eine Luftblase ins Eis geschlossen und mimte den Edelstein. Smaragd, dachte ich. Die Moortöpfe heißen Wasenlöcher. Neugierige und findige Leser wissen nun auch, wie das Dorf heißt. Eislaufen auf den Moortümpeln war bestimmt verboten.