Nach neun Tagen ohne nennenswerte Musik setzte ich am Frankfurter Flughafen wieder die Kopfhörer auf. Wie erwartet schlug die Ohrendroge von links und rechts ins Hirn ein. Ich hätte wohl das Gleichgewicht verloren, wenn solcher Verlust in einem Flughafensessel möglich gewesen wäre. So saß ich nur und ließ mich niederspülen. Zwei Asiaten sahen mich an als spiele das Kopfkino direkt in meinen Augen.
Ich hatte getan, was an Flughäfen eben möglich ist, Tee getrunken, Parfums getestet, hatte den Duftnebel vor Müdigkeit an mir vorbei gesprüht, hatte alle Teesorten durch. Draußen schoss der Regen übers Glas. Das Klagenfurter Wunderland lag gerade zwei Stunden hinter mir. Das war vorgestern.
Jetzt bin ich zurück, hallo Welt, hallo Uni. Es dauert tatsächlich eine Weile, aus dem Klagenfurter Taumel zu erwachen. Studentenleben, zum ersten Mal klingt das Wort in meinen Ohren leicht schäbig. Das kommt vom vielen Meeresfrüchtesalat, vom Lammrücken und Wildreis, den überbordenden Nachtischbuffets und vom Sushi für zwischendurch.
Ich schlüpfe in ein Paar Turnschuhe und tröste mich, dass mir etwas Schäbigkeit und der Regen gut stehen. Die südlichen Empfänge in Burghöfen und Seegärten machen mich zwar satt, aber gewiss nicht zum Schriftsteller. Sie irgendwann wieder zu erleben, wäre trotzdem eine schöne Vorstellung. Warum nicht, irgendwann einmal, mich den Pappschwertern der Jury stellen und vielleicht sogar weinen. Ich pinne die Vorstellung zu den Postkarten an der Küchenwand.
Was ich außer viel Papier und einem halben Sonnenbrand mitgebracht habe, bemerke ich erst nebenbei: In meiner Manteltasche finde ich einen Klagenfurter Teelöffel. Eine schlechte Angewohnheit, das.
Echte Köpfe
Ich stehe nackt in einem Klagenfurter Hotelfenster, denn gegenüber ist nur weiße Wand, trinke Leitungswasser und frage die Provinzluft, was sie davon hält. Sie zeigt sich unbeeindruckt, zieht nur sonnenvoll durch ihre Straßen und atmet vorsichtig den Sonntag aus. Ich beschließe, noch einmal zu duschen und betrachte den Fön, der groß und lang wie eine schallgedämpfte Waffe an der Wand hängt. Er ist alles andere als schallgedämpft.
Jetzt, nachher, heute Abend, sollen alle Fotogesichter aus dem Programmheft zu echten Köpfen werden.
Bunnies
Den Klagenfurter Literaturkurs, sie nennen ihn Häschenkurs, lasse ich mir sagen. Wie niedlich, denke ich. Und ich freue mich auf die Tage.
Ich stelle mir vor, wie ich Bunnyohren aufsetze. Von da ab driftet die Vorstellung irgendwie ab.
Schildkrötenrennen
Kennst Du Schildkrötenrennen? Warte, ich erklär es Dir. Du brauchst einen korsischen Étang und eine Stange alten Baguettes. Du stellst Dich ans Ufer und wirfst Brotbrocken ins Wasser. Bald kommen die ersten Schildkröten. Am Anfang, zum Anlocken, reichen schon die Werfbewegungen Deines Arms. Damit sie näher kommen, musst Du natürlich wirklich Brot werfen. Lass sie eine Weile fressen. Lock sie immer näher. Schau Dir die kleinen, eckigen Köpfe an, wie sie auftauchen, abtauchen. Wenn sie ganz nah sind, sei flink, nimm zwei Schildkröten aus dem Wasser. Schau Dir die schönen Panzer an. Geh zehn oder zwanzig Schritte vom Wasser weg. Leg die Tiere auf den Boden. Dann einfach zusehen. Gewonnen hat die Schildkröte, die als Erste zurück im Étang ist. Manchmal eine sehr gemütliche Angelegenheit, manchmal ein hastiger Lauf.
Ich habe gerade ein Schildkrötenrennen am Laufen. Deshalb erzähl ich das. Die eine Schildkröte heißt Schuldienst. Die andere Schildkröte heißt Literatur. Dass sie beide ins Wasser kommen, ist sehr wahrscheinlich. Die Frage ist nur, welche wann.
Die Schuldienstschildkröte ernährt sich von Formularen, das stört mich. Sonst scheint sie ein liebenswertes Kerlchen zu sein. Ich hoffe, sie beißt nicht. Die Literaturschildkröte ist mein heimlicher Favorit. Und sie weiß es, das stolze Ding.
Letztlich ist das Rennen nicht spannend. Beide werden gewinnen. Außer natürlich, wenn die Literaturschildkröte der Schulschildkröte alle Beine abbeißt. Würde sie stark genug, so dass sie könnte. Ja, sie würde es sofort tun. Ich sehe das. In ihren gelben Augen.
Ich beiße mir auf die Lippe. Ein Tier ist das.
Augenrollen
Da nimmt sie meilenweit Anlauf für den nächsten Tagebucheintrag, über tausend Meilen, um genau zu sein, von Stockholm nach München nach Tübingen, und dann sowas, denkst Du wahrscheinlich. Sie nimmt Anlauf, Aufmerksamkeit, was sie will, aber zurückgeben will sie nichts. Dann merkst Du, dass vier Fotos aus Stockholm in der Fotokiste liegen. Wie gnädig, denkst Du und rollst mit den Augen.