Ein Brautkleid aus Fallschirmseide trug sie. Weil sonst kein Stoff zu haben war. Meine Oma überrascht mich mit ihren Details. Ich staune in die leere Luft hinein. Der Wind zerzaust den Himmel. Ich will fotografieren.
Loopings
Ich gehe spazieren. Mitten im Wald gerate ich an eine Betonbrüstung. Ich gehe näher, beuge mich darüber. Ich blicke in ein Loch. Ein Betonbecken, an die dreißig Meter breit und sieben Meter tief, ein unwirklicher Riesenbrunnen, der Grund sieht sumpfig aus. Drei rostige Leitern führen hinunter. Einer fehlen bereits die Sprossen. Nein, ich klettere nicht hinunter, nicht heute, nicht jetzt. Und obwohl das verrottende Becken ein Wasserspeicher sein muss, ist es vor meinem inneren Auge längst zu einer Arena geworden. Zu einem nächtlichen Treffpunkt voller Fackeln, den niemand sieht oder hört.
Ich finde Worte, wo ich glaubte, es gäbe keine. Weil ich kein Arschloch sein will. Erzähle die Geschichte einer Unke in meinem Rocksaum. Bin vielleicht gerade um dieser Geschichte willen ein Arschloch. Wer weiß.
Das Fernostbuffet im Yatai beschäftigt mich wieder mehrere Stunden lang. Die Japanerin berührt meinen Schal und kommentiert ihn laut und überschwänglich. Sie hat ihre private Grammatik, ihre eigene Phonetik, aber ich verstehe sie. Irgendwo hinterm Aquarium kommen und gehen die Gäste. Immer wieder bleiben Kinder andächtig vor den Fischen stehen. Es dauert eine Weile, bis sie merken, wie ich sie durchs Aquarium hindurch beobachte. Kleine Welse knutschen des Weges. Die Goldfische drehen Loopings.
Dicht beschriftet
Ich mache eine Faust und wundere mich, dass mein Herz so klein sein soll. Ich denke darüber nach, wie Patronen sich klein und dicht beschriften ließen. Sich ein Gedicht ins Hirn zu blasen wäre natürlich auch was.
Dreiflüglig
Manche Geschenke haben eine lange Inkubationszeit. Manche Geschenke verstehst Du erst mit der Zeit. Ich nehme den schwarzen Pfeil in die Hand, der Bogen steht vorsichtshalber in einer anderen Zimmerecke. Weiße Schrift umspannt den Pfeilschaft, bis hin zu einer breiten Linie, die ungefähr den Punkt markiert, der gerade noch zu sehen wäre, wenn der Pfeil einen Brustkorb durchschlüge und so steckenbliebe, dass seine Spitze wieder kurz vorm Austritt stünde.
Zum ersten Mal wird mir klar, dass ich diese weiße Schrift, diese kleinen Worte tatsächlich jemandem durchs Herz jagen könnte. Dass die Worte dann in ihm wären, tiefer als gut für ihn ist und auf pervers physikalische Weise. Eine materialisierte Metapher. Ich weiß nicht, warum dieser Gedanke mich gefangen nimmt.
Der Pfeil ist handgemacht. Ich erinnere mich an meine Verblüffung beim Auspacken, als mir nach einigem Drehen und Wenden aufging, dass der Pfeil nicht einfach nur verziert wurde, sondern von Grund auf für mich gemacht. Über seiner Schwanenbefiederung trägt der schwarze Schaft einen dreifachen Schmuck aus Pfauenfedern. Kein schlechtes Pendant für die dreiflüglige, geschliffene Stahlspitze.
Nonverbale Süßigkeiten
Unbekanntes reizt mich. Deshalb, genau deshalb, weiß ich seit einigen Tagen, dass ich achtstündige Brettspielrunden samt einer Bibel von Regelwerk überlebe. Gerade so. Aus demselben Grund kenne ich Menschen, die ich sehr mag, denen ich aber prinzipiell nichts zu sagen habe. Fast nichts. So bleibt es bei goldenen Blicken, stillen Tastversuchen, neugierigen Sonden in fremden Gewässern. Nonverbale Süßigkeiten.
Und ich hüpfe wie ein kleines Kind durch die Wohnung. Träume Abenteuerträume, verschlafe meinen freien Morgen. Die Sonne ist heute vor mir da. Als ich sie hereinlasse und Kerne in die Muschel am Balkon lege, kommen die Meisen. Schweigen ist Gold. Wer immer das sagte, wusste, wovon er sprach.