Sattes Orange

Mein Vater hat mir ein Vogelhaus gebaut. Meine Mutter schenkt eine große Packung Vogelfutter dazu. Ich denke an meinen gestrigen Paradiesvogel und schmunzle. Jetzt hüpfen Sumpfmeisen aus und ein. Singen, schreien, schütten ihre kleinen Herzen bei mir aus.
Ich fülle ein Kuvert, das auf die kanarischen Inseln geht. Ich sitze auf dem Boden und sortiere meine Teelöffelsammlung. Ich bügle eine Triskel auf meine Jeans. Ich lese mich mit Jochen Schmidt und Martin Millar zurück ins Herz der Welt.
Später lehne ich in der Balkontür, das Viertel ist still geworden. In den kahlen Bäumen steht in aller Klarheit das Abendrot. Der Zigarillo kräuselt vor sich hin. Mein Zeitgefühl geht vor die Hunde. Ich wünschte, es bliebe dort. Eine Laterne geht zuckend an, erst glimmt sie grün, dann kippt die Farbe um, ein sattes Orange.

Paradiesvogel

Die Tür ist halb offen. Jemand schüttet Flocken in eine Schüssel, Du kannst es hören. Zeitweise verlernst Du Hunger, Freude und jegliches Feingefühl. Phasenweises Abdriften ins Grau.
Du wolltest immer schreiben. Nie arbeiten. Und jetzt musst Du, wenn Du ein Leben haben willst.
Dass der literarische Paradiesvogel in Dir ungehindert weiterwächst, macht Dir Angst und Freude zugleich. Seine Zeit wird schmerzlich beschnitten. Vor Eifersucht hackt er wie ein Tobsüchtiger in Deinem Kopf herum. Es tut weh. Aber Du wirst ihn pflegen. Du musst.

Schwindelgefühl

Einen Moment lang willst Du Panik schieben. Dann bemerkst Du, dass das Schwindelgefühl Geschwindigkeit und der Lärm Motorengeheul ist. Du musst nur die Kupplung treten und den Hebel bewegen. Du wirst einen Gang hochschalten, das ist alles. Ob das gut für Dich ist, eine Frage, die in den wenigen Sekunden, die Du hast, unstellbar ist. Du musst hochschalten. Alles andere macht die Maschine kaputt. Und Anhalten, Abwürgen, Aussteigen ist nicht drin. Nicht jetzt. Und Du willst doch Bewegung. Du tust es also, lernst dieses Ding zu fahren. Klar hat es eine Bremse. Aber jetzt musst Du weg hier. Schnell.

Fallschirmseide

Ein Brautkleid aus Fallschirmseide trug sie. Weil sonst kein Stoff zu haben war. Meine Oma überrascht mich mit ihren Details. Ich staune in die leere Luft hinein. Der Wind zerzaust den Himmel. Ich will fotografieren.

Loopings

Ich gehe spazieren. Mitten im Wald gerate ich an eine Betonbrüstung. Ich gehe näher, beuge mich darüber. Ich blicke in ein Loch. Ein Betonbecken, an die dreißig Meter breit und sieben Meter tief, ein unwirklicher Riesenbrunnen, der Grund sieht sumpfig aus. Drei rostige Leitern führen hinunter. Einer fehlen bereits die Sprossen. Nein, ich klettere nicht hinunter, nicht heute, nicht jetzt. Und obwohl das verrottende Becken ein Wasserspeicher sein muss, ist es vor meinem inneren Auge längst zu einer Arena geworden. Zu einem nächtlichen Treffpunkt voller Fackeln, den niemand sieht oder hört.
Ich finde Worte, wo ich glaubte, es gäbe keine. Weil ich kein Arschloch sein will. Erzähle die Geschichte einer Unke in meinem Rocksaum. Bin vielleicht gerade um dieser Geschichte willen ein Arschloch. Wer weiß.
Das Fernostbuffet im Yatai beschäftigt mich wieder mehrere Stunden lang. Die Japanerin berührt meinen Schal und kommentiert ihn laut und überschwänglich. Sie hat ihre private Grammatik, ihre eigene Phonetik, aber ich verstehe sie. Irgendwo hinterm Aquarium kommen und gehen die Gäste. Immer wieder bleiben Kinder andächtig vor den Fischen stehen. Es dauert eine Weile, bis sie merken, wie ich sie durchs Aquarium hindurch beobachte. Kleine Welse knutschen des Weges. Die Goldfische drehen Loopings.