Vier, vier, acht, denke ich. Schönes Datum.
Ich las ein Fetzchen John von Düffel, wirbelte im Guinesstaumel, das heißt betrunken, durch die Wohnung und wunderte mich am nächsten Tag, wo die ausgedruckten Manuskripte sind, wenn ich sie brauche. Ich wanderte die Calwer Passage auf und ab, stellte mich im Stuttgarter Schriftstellerhaus dem Forum der Autoren und schlief in einem Esslinger Bett. Ich war guter Laune, aß Nummer zehn beim Asienimbiss im Königsbau und fuhr zurück in die Pampa.
Mit dem Grün, das langsam in den Bäumen und Büschen aufgeht, wird die Zugstrecke eine andere. Ich lehne im schaukelnden Regionalbahnsitz. Dass nur depressive Musik mich zu neuem Wollen aufrafft, ist nichts Neues. Neben mir sitzt eine Oma und macht sich Notizen.
Wenn Du in die Stadt gehen willst, schnell ein paar Dinge besorgen, Topflappen, Tee, Kajal, und Dich plötzlich im Duft gebrannter Mandeln auf einem bunten Markt wiederfindest. Oder wenn Du unversehens Deinen rosa Hüpfball ausgräbst, den Du fast vergessen hattest, ihn durch Flure und Zimmer springen lässt. Wenn in der Küche Leben ist und jemand für Dich mitkocht. Das sind die leichten Momente.
Auf dem First sitzen
Wir gehen Mitternachtsschaukeln im Schnee. Der Spielplatz ist von der unlangweiligen Sorte. Ich kann im Schaukelkorb liegen wie in einer Hängematte. Ich friere nicht. Ich kann über vereiste Seile tanzen. Ich falle nicht. Wir werfen Schneebälle, snipern auf den Bretterverschlag des Klettergerüsts. Wir stecken unsere Zungen in den lockeren Schnee. Was, wenn nicht das Prickeln von Schnee auf der Zunge, ist der Inbegriff des Kindseins.
Dass das Dach der Welt in meinem Zimmer sein kann, oder in meiner Badewanne, geht mir nur manchmal auf. Zu selten. Und warum der laufende Geschirrspüler und Góreckis dritte Symphonie so gut zusammenpassen, ist mir auch schleierhaft. Geschenkte Tage, denke ich, sind die besten Tage.
Zwei Morgenkaffees später fahre ich gen Süden und klettere auf ein wirkliches Dach. Weil es in der Sonne liegt und zugänglich ist. Ich wärme meine Hände und die nackten Füße auf den roten Ziegeln. Unten, in ein paar Ecken, liegt noch Schnee. Ich frage mich, ob mich irgendwelche Nachbarn sehen und was sie über das rosa gekleidete Mädchen auf dem Dach denken würden. Auf dem First sitzen, ich hatte gewusst, dass es mir liegt.
Karfreitag
Am Waldrand eingeschneit zu werden, ist eine feine Sache, wenn die Heizung funktioniert. Wenn Kirschzweige in Deiner roten Vase blühen. Wenn Osterferien sind.
Etwas spult durch Deinen Körper, ein bunt schimmernder Faden, Göttergarn, keine fixe Idee, eher ein fixes Gefühl, ein heiliger Bandwurm. Weder Glauben noch Wissen, aber besser als beide. Parasiten, Götter, Kuckuckseier. Bevor Du Dich zu Tode quatschst, hältst Du lieber den Rand.
Erste Klasse
In der ersten Klasse ist es so leise, dass Du die Regentropfen auf dem Zugdach hörst. Du hast Dich hierher gesetzt, weil Dir schlecht ist. Du fühlst Dich wie ein übervolles Gefäß. Die geringste Erschütterung würde Dich zum Überlaufen bringen. Oder der falsche Geruch. Also sitzt Du in der ersten Klasse, wo es ruhig ist, keine Menschen, keine Gerüche. Und vor allem nichts zu essen. Du musst nach Hause. Es wird dunkel und Du krank. Beim Gespräch mit dem Schaffner lässt Du Dich nur vom Tonfall leiten. Und er glaubt Dir. Ach, sagt er, Sie haben den anderen Zettel auch dabei. Ja, sagst Du instinktiv und ahnungslos, von welchen Zetteln er spricht, weil Du an seiner Stimme hörst, dass er Dich in Ruhe lassen wird, wenn Du ja sagst. Er stempelt Dein falsches Ticket und statt einem Platzverweis bekommst Du ein Lächeln.
Am nächsten Tag geht es Dir besser. Aber müde bist Du. Dass der deutschen Sprache ein Wort fehlt, denkst Du, ein Wort für die angenehme Festigkeit, für diesen unverrückbaren Halt, den eine Männerbrust bietet, auf die man seinen Kopf und seine Hände legen kann.
Esspapier
Du musst in den Wald gehen. Weit weg von den Wegen der Spaziergänger. Drei Spechte werden Dich begrüßen und eine goldene Sonne. Wie scharf Umrisse sein können, zeigen Dir die Bäume. Hier wohnt die Stille, die Du lang vermisst hast.
Seit langem überrascht Dich wieder der Geschmack eines Weins. Außerdem knabberst Du an Esspapier, begeistert, wie früher. Einmal, mit acht oder neun, schriebst Du mit blauer Tinte auf die pastellfarbenen Oblaten. Nur um Worte zu essen, süß, bunt.
Schießpulverromantik, sagt einer, und dass ihm das Wort gefalle. Dir gefällt es auch. Du schreibst über Nordpolaugen und denkst an Berlin. Gödel und Einstein werden Dich über stundenlange Zugfahrten wegtrösten, gute Gesellschaft für die Bummelbahn. Alles wird gut.