Wenn sich mein Blick nur um ein Quant verschiebt, kann ich das Paradies sehen. Höre zehnmal genauer, rieche Tulpen und Narzissen im Wind, sehe schärfer und schöner. Das Glöckchenlachen der Kinder perlt aus meinem Hals, als sei es immer dort gewesen. Die Musik ist zurück.
Ich träume von Segelschiffen, Planeten, Ruinen und Monden. Die Landschaft meiner Träume ist ein mächtiges Gemälde. Ein surreales Graffito, in dem ich mich verlaufen kann, ein weit geflügeltes Triptychon, meine eigene Sixtinische.
Ob es Schwalben oder Mauersegler sind, die ums Haus fliegen, kann ich nicht sagen. Mein Kaffee ist schwarz wie ihre Flügel, schwarz wie die Nacht. Das russische Ölbild wirkt an meiner weißen Wand noch zierlicher und wertvoller als im Esszimmer meiner Großmutter. Sie hat es mir geschenkt, samt einem alten chinesischen Teegedeck. Selten bekomme ich Geschenke, an denen so viele Geschichten hängen. Ich mag das Bild, ich mag die hauchfeinen Tassen. Sie erinnern mich. Glitten in meine Welt als hätten sie immer schon mir gehört, keine Fremdkörper, sondern alt und vertraut. Vielleicht, denke ich, wusste meine Großmutter das.
Eigentlich will ich nur hier bleiben, um ein Quant verschoben. Die Ameise gehört so sehr auf ihren Stein wie ich in meine Verrückung.
Weltbetrieb
Später dann. Wieder die Wut. Ihr könnt mir meine Zeit nehmen, aber niemals meinen Willen. Mag der Weltbetrieb in biblischem Ausmaß über mir zusammenschlagen, während Gott keine einzige Welle für mich teilt, ich halte den Kopf oben. Zwischen den Zeilen lebe ich weiter. Auch wenn dort keiner liest. Lasst mich fluchen.
Für Augenblicke
Und plötzlich ist es zurück. Das Klagenfurtgefühl, das Zürichgefühl, das Stockholmgefühl. Die verwundete Künstlerseele holt sich Land zurück. In grundlos ausbrechender Euphorie. Daneben ein Becher Kaffee. Ich sitze am Bahnhof. Vielleicht nur der Frühling und der Wind. Für Augenblicke spielt wieder Musik. Endlich.
Uferschlick
Der Schritt vom warmen Uferwasser ins reißende Strombett ist rasch getan. Es spült mir die Füße weg. Wenn ich wieder an Land krieche, die Blätter aus meinem Haar fische, schwöre ich mir, beim nächsten Mal besser aufzupassen. Meine Zehen versinken im Uferschlick. Ich weiß genau, dass aufpassen nichts nützt.
Vielleicht wird ein Vogel singen, vielleicht wird ein Otter huschen. Vielleicht falle ich wieder, schwimme wieder. Oder nicht. Ganz wie es dem Fluss gefällt.
Frühling
Ich verlasse das Haus und atme ein. Knospen und Blätter schmiegen sich an meine Wange. Nein, ich schmiege mich, denn sie waren vorher da. Der Geruch meiner Kindheit, immer noch, immer wieder. Zartgrün zupft ein Vogel an meinem Sichtfeld. Ich wünschte, er zupfe an mir.