Strumpfsockig

Die nächste Nacht entführt mich an eine Art Adria. Das Licht ist jedoch voller und dunkler als an der kroatischen Küste, die Felsen goldener, überhaupt sieht mein Traum gemalter aus als alles, was ich kenne. Ich pflücke kleine Meerestiere von den Felsen, habe Muschelschleim an den Händen, trage meine Ernte eine Weile in einem Eimer Meerwasser spazieren und bringe sie schließlich zurück nach Hause.
Tags darauf, der hochgeschossene Wald strahlt mich an, ich liebe den Herbst, seinen Atem, es regnet Farben. Ich, ganz graue Wolle, füge mich ein, wie im Film. Einer schrieb mir, dass das Glück eine zu enge Schale für ein entfaltetes Herz sei. Ich glaub es nicht. Wieder so ein Melancholiker.
Später, ein paar rote Blätter wehten mit herein, wirble ich strumpfsockig durch die Wohnung, zu Baba O’Riley und anderem. Schon wieder vom Fliegen geträumt, fällt mir ein. Ich kraule einen Löwen und warte, ob auch Großkatzen irgendwann zu schnurren beginnen.

Kopfkino trifft Kiesewetter im Ulmer Stadthaus

Fee Katrin Kanzler trifft Kai Wiegandt

Fee wird aus »Kopfkino« lesen, von Kai Wiegandt gibt es den Prosatext »Kiesewetter« zu hören. Die Lesung findet am 28. Oktober 2008 im Kabinett statt, Ausstellungsbereich, zweites Obergeschoss, um 19.30 Uhr.

Eintritt 7,50.-/5.-

Ein gutes Restaurant

Ich sage Brötchen statt Semmel, gebe mich asymmetrisch, tanze. Ersatzlos fallen Züge aus. Nachts, in Russland, Hamburg und Frankfurt, die irgendwie traumlogisch verwachsen sind, streife ich um Raffinerien, Fabriken und Lagerhallen, in deren oberen Etagen sich schicke Cafés und Clubs befinden. Die Keller der Gebäude brennen. Es stinkt und wir wissen, dass gleich etwas in die Luft fliegen wird. Der Wecker piepst, grausam wie selten, ich springe auf, mein Kreislauf singt. Süßer, denke ich, und schicke schmutzige Gedanken nach Norden, wäre ich Marla, Du wärst mein Arsenal an Selbsthilfegruppen. Ich bin die glückliche Elendstouristin, die Kleine im Theaterkleid, die Alptraumfrau, das Feuer unterm Männerarsch, die lang schon lockere Schraube. Das alles rede ich so hin. Ein kleiner steifer Chinese bringt Krabben und Guavensaft, die Goldfische beschwirren von der Seite unseren Tisch. Wir werden wiederkommen, ein gutes Restaurant.

Myrte

Abendweise ein paar Gläser Vin de myrte. Dank Juli Zeh könnte ich nun wieder Evanescence hören. Aber eigentlich mag ich Trent Reznor lieber. Ich schlürfe die Sahne vom Kaffee. Mit einem anderen Musiker läute ich die unerträgliche Langsamkeit des Seins ein.

Die Reise nach Jerusalem

Juli Zeh nennt es eine Schallmauer. Sich eine Welt abkapseln über die Musik, ein Kopfhörerkind auf wechselnden Bahnsteigen. Die blauen Schilder zeigen die Ortsnamen. Es könnte irgendwas auf den Schildern stehen, ich könnte irgendwo sein. Mittags gibt es mal Nordisch, mal Chinesisch, mal Japanisch. Mein Herz schwimmt Schmetterling durch den heraklitischen Fußgängerfluss, der niemals derselbe ist.
Neben platten Mäusen und toten Kröten bringt der Herbst seine freitäglichen Unterwasserküsse und Überraschungen, die keine sind. Entwaffnete fallen ihrem Los anheim. Überhaupt, so scheint es, fallen zur Zeit viele in irgendeine Richtung. Manche fallen genussvoll und bewusst, die meisten wahllos und schnell. Das Leben ist kein Wettbewerb, denke ich, bleibe stehen und sehe zu. Die Reise nach Jerusalem darf ruhig ohne mich weitergehen.
Ich wechsle zwischen zwei und mehr Welten, ein sanftes Ticktack, der wenig regelmäßige Puls meiner Tage. Die Übergänge werden smoother, die Unschärfe weicht einem bisweilen bestechend scharfen Fokus. Zwar kann ich lange nicht von Synchronisation meiner Welten sprechen. Aber ich arbeite dran. Hart. Wie Wellen spülen die Tage ans Ufer. Es gibt Schuhe, in denen selbst ein rauer Kiesstrand weich wie Sand ist.