Nadelstreifen

Man könnte sich ein wenig mit der Welt beschäftigen, denn es ist der letzte Tag des Jahres. Also die Frankfurter Allgemeine aufmachen und sich die Finanzkrise anlesen. Teetasse um Teetasse und Licht ins Zimmer holen, so lange der Nebel es zulässt.
Später streife ich durch den raureifigen Wald, sammle Kristalle auf der Wollmütze, der Nebel ist längst zurück. Gleich danach, noch mit kälterosigen Backen, schlüpfe ich ins Nadelstreifenkleid. Frage mich, was die Party bringt. Kein lüsterner Schwanentanz wie in Nürnberg, das weiß ich, aber selige, süchtige Blicke vielleicht. Ein neuer Ort, ein neuer Kontext, eine neue Gleichung mit zwei Konstanten und vielen Unbekannten.
Bereits in vollem Gang finde ich meinen Silvesterabend vor, funkelnd, plätschernd, in einer großen Wohnung überm Kornwestheimer Bahnhof, wo Leute feiern, von denen ich die wenigsten kenne. Rasch schleuse ich mich in den Partyfluss, ein bisschen stromlinienförmiger als sonst. Als ein Hemd aus der Menge auftaucht, das meine Nadelstreifen spiegelt, weiß ich genau, dass das kein Zufall ist. In dem Hemd steckt ein Mann mit Hut. Den kenne ich.

Wie immer

Wieder das alte Paar. Der Tod und die Liebe. Er trägt Hüte. Sie hat Wildlederstiefel an. Sie wirft ihn gegen die Wand. Er atmet schwer. Er packt sie am Hals. Sie lächelt selig. Sie wollen umschlingen, bestehlen, zu Boden werfen, sich und andere. Sie sind Bonnie und Clyde, sie sind der Showdown im Blutbad. Vorm Blackout tauschen sie die letzten Blicke, glühend klare, außer denen keine Welt mehr ist.
Bist Du verliebt, fragt einer. Ich lächle nur. Selig. Ich bin verliebt, wie immer.

Gold, Zimt, Täubchen

Kleine Hyänen und Löwen bändigen, mit bloßer Hand ihre Kehlen anfassen, schütteln oder kraulen, je nachdem. Sich unter die Pranken der großen Löwen legen, sich was beweisen. Die Nägel golden lackieren. Fahrkarten kaufen. Zimtsterne verteilen. Schuldig sein. Selig sein. Auch Dichter sind manchmal zu high für Worte. Ich wiederhole. Freundschaft ist nur eine Entschuldigung, nicht lieben zu können.
Sich fragen, wer lauscht. Sich fragen, wer liest. Satzfetzen aufschnappen, und wie die Augen im Dunkeln gern Gespenster sehen, macht das Ohr wunderliches Geschwätz aus den Fetzen.
Zitrone, Mango, Melone, schmeckst Du es heraus. Wo die richtige Stelle für einen Kuss, wo der Club für diese Nacht. Das Hotelzimmer wartet und ist einfach da, wenn man es braucht. Vielleicht ein Stadtplan, vielleicht ein Frühstück in der Skybar. Vielleicht blaue Flecken, für mich oder den Löwen. Für einen Moment wird die Welt wieder still stehen. Sagt er. Wird unter meinen Händen wie ein Täubchen gurren. Kein Geheimnis, keine Sensation.

Kaviarhäppchen

Mit einer Überdosis Kaffee bekommen Höhenflüge diese gewisse Wendigkeit, die sonst nur im Traum möglich ist. Die Netze und Muster spinnen sich schneller, leichter, im Flug. Zu Hause, genau hier, in midair. Und warum, frage ich mich, werden die Pfannkuchen genau heute perfekt.
Die ersten Wunderkerzen sind versprüht. Der ferne Brand kommt näher, die Welt färbt sich orange und rosarot in seinem Schein. Ich frage mich, ob er uns je erreichen wird. Oder ob er eine Fata Morgana ist. Ruhig und satt frage ich mich das, zur Musik wippend, eine Frau vor einem zwölf Meter langen Meeresfrüchtebuffet, die kein Problem damit hätte, ihre Kaviarhäppchen mit einem Shrimpscocktail oder etwas Hummermousse auf Artischocke einzutauschen. Die Welt ist gut zu mir.

Tourist

Ich bade in all den Lichtern, die ich selbst nie aufhängen würde. Als Touristin im Weihnachtsland treibe ich einigermaßen unbemerkt in der Menge mit. Bin Nutznießer des Flimmerns und Funkelns, lasse etwas von der Freude und dem Glanz auf mich abstrahlen. Weihnachten ist mein Fest nicht. Aber es ist schön, wenn die Einheimischen feiern.
Wildleder und Teakholz, Messing und Holundersaft. Eines gurrenden Ohrwurms wegen bestelle ich das eine Album. Um eines kleinen Jungen willen das andere. Im Nebenzimmer ist Krieg. Am Horizont brennt irgendwas.