Ein Ort zum Zusammenbrechen

Ich seh mich schon, wie in Filmen, als eine dieser wunderlichen, alten Damen. Die in ihrem völlig verwachsenen Garten herumwandelt, im schmutzglasigen Gewächshaus seltsames Kraut anbaut. Wo alles nach Blüten und Harz riecht und auf deren Grundstück allenthalben komische Figuren, Gartengerät und klapperndes Zeug herumfahren. Wo der Held hingeht, wenn ihm gar nichts mehr einfällt. Wenn er einen Ort zum Zusammenbrechen braucht.

Blumenstreukind

Nach dem Aufstehen gibt es Tee aus frisch gepflückter Minze und drei Kirschen vom Baum. Um mich herum heiratet die Welt, die Bräute und Bräutigame fallen von den Bäumen wie reife Früchte. Natürlich ist das übertrieben, aber es macht Spaß, so daherzureden. Ich bin eher der Typ Blumenstreumädchen. Linst zwar gerne zu den Blumenstreujungen hinüber, ist aber eigentlich viel zu klein für den ganzen Erwachsenenkram. Bausparvertrag, my ass. Der Versicherungsfuzzi klingt ja selber nicht überzeugt und würde vermutlich auch lieber auf irgendeiner Wiese spielen gehen. Verheiratet ist er auch nicht. Wenn wir gerade bei Wiesen sind, bei Grün und Blumenstreuen. Mich faszinieren Pflanzen und ihre schnelle, fast drogenhafte Wirkung auf mich. Stell’ mich fünf Minuten in den Wald, ins Gewächshaus oder auf eine hochgewachsene Wiese und es geht mir gut. Meine elf Töpfe voller Kraut und Blühzeug sind inzwischen Meister in professioneller Nervenberuhigung. Sie müssen mit den Zigarillos verwandt sein, denke ich. Hätte ich einen Garten, würde der vermutlich ziemlich bald zu einer Art Outdooratelier, zu einem buschigen Wildwuchsbiotop mit kunstvoll freigehaltenen Lichtblicken. Unkraut und Kraut sprösse Seite an Seite, ich habe den Unterschied ohnehin nie kapiert. Lasst mich auf tolerante Nachbarn hoffen. Die Gummistiefel für den nichtvorhandenen Garten habe ich jedenfalls schon.

Regenplätschern

Ich lege das weißrote Kuvert gut sichtbar auf den Schreibtisch. Mein Fensterplatz im französischen Hochgeschwindigkeitszug ist gebucht. Ich mag ihn, den Meilenschlucker. Im August werde ich nachsehen, ob es Paris noch gibt, und nebenbei die beste Freundin wiedersehen, durch den Süden der Île-de-France spazieren, auf Englisch und Französisch die Abende verplaudern, meiner Amazonenfreundin wieder einmal beweisen, dass es mich gibt, und nicht nur die bunten Briefe, die Federn, die Postkarten. Ich trinke Chai Latte und schlafe vom Regenplätschern fast ein. Die Kapuzinerkresse nickt reichlich und mit orangefarbenen Blüten ums Eck, die Finken dagegen sind grün. Ich denke an Improvisationen, Shakespeare und den Kostümverleih des Naturtheaters, in dessen Tiefen ich morgen mitfischen werde. Außerdem an die Haut eines Mannes, an seine rausamtigen Bartküsse und an den Gin Basil Smash von gestern. Oder vorgestern. Oder so. Eins will mir nicht in den Kopf. Dass es Tage gibt, an denen ich weder die Welt retten kann, noch ein Wunderwerk schaffen, mir auch nicht das Herz herausreißen muss, sondern einfach ausruhe. Sie fühlt sich merkwürdig an, diese vogelzwitschernde Ruhe, so sehr ich sie brauchen mag. Sie fühlt sich merkwürdig an, bis ich in eine Bettdecke gewickelt den triefenden Wald betrachte, auf Pfefferminzblättern kaue und eine Amsel das alles liebenswürdig kommentiert. Ich lasse mich endlich fallen. Der Regen wird schwächer.

Zum Beweis

Ich benutze meine Katzenangel. Das heißt, ich hänge sie vom Balkon, erster Stock, wippe ein wenig mit der Rute und warte, bis ein begeistertes Fellbündel daran hängt. Fast immer ist eine Katze da, die anbeißt. Manchmal auch eine Topfkatze. Die gemeine Topfkatze mag eine gewisse Art von Leerzeichen und eine gewisse Art von elektronischer Musik. Wochentags arbeitet sie als Zahlenhure, als uniformierter Krawattenträger. Wochenends träumt sie von Wanderzirkus und Karneval. Ich führe Raumzeitgespräche und manchmal verbrenne ich Dinge. Nur eines dieser Dinge vermisste ich danach. Nicht schmerzlich, aber mit dem stillen Gefühl, dass es doch eines der Dinge war, die sich nicht einfach in Luft auflösen, zumindest nicht in meinem Haushalt. Vielleicht hatte ich es nur zum Beweis verbrannt, dass sich alles irgendwie auflösen lässt. Zwischendurch sehe ich mir Tiefseetiere an. Und Ritterturniere. Der Basilikum gedeiht vorzüglich.

Tagewerk

Irgendwas fliegt vom Balkon über mir, ein Pappkarton vielleicht, an meinem Balkon vorbei, und landet rumpelnd im Garten. Ich schlürfe unbewegt vom Schokokaffee. Der Rechner rauscht ganz leise. Ich sehe nicht nach. Soll die Welt mit Zeug werfen. Einer chattet mich an. Es ist der taoistische Schlagzeuger mit einem Kulturvorschlag. Ich glaube, er tupft mich wie einen Klecks Fingerfarbe auf eine freie Stelle in seinem großen, bunten Kalender, eine Stelle, die er sorgfältig auswählen muss, denn viel ist da nicht frei. Und da trockne ich dann fest, ich, in der Kunsthalle Weishaupt. Irgendwo, irgendwie finde ich mich im Anschluss selbst wieder und bin verblüfft, wie leicht ich mich manchmal verliere. Abends lege ich Köder für Rotwildfetischisten aus und beschließe, dass das Tagewerk damit erledigt ist. Ich sinke zurück in die Badewanne. Der Schaum legt sich um meinen Nacken wie ein Pelzkragen. Ich folge Fürst Myschkin nach Pawlowsk.