Nacht und Nebel

Ich beginne meine Reise an einer jener Tankstationen, die überall gleich aussehen. Das Nirgendwo beginnt, sobald mein Wagen auf die beleuchtete Insel rollt. Eben noch war ich an einem Ort, den ich mit viel gutem Willen ein Zuhause nennen könnte. Plötzlich könnte ich überall sein, die Zapfsäulen sind gleich, die Parkplätze, die Leuchtschriften sind gleich, die Zeitschriftenregale und das Snackbuffet, alles gleich. Bei solcher Nacht und solchem Nebel ist meine Kapsel Musik alles, was übrig bleibt, sobald ich eine gewisse Geschwindigkeit überschreite. Ein Cockpit voller kleiner Lampen, angenehm warm, das Motorengeräusch versinkt in Gleichförmigkeit. Es ist sinnlos, an eine Welt zu denken, da ist keine. Die dünne Außenhaut des Wagens ist auch meine Haut geworden. Gelegentliche rote und weiße Lichter tupfen eine Minimalstruktur ins Nichts. In blindem Vertrauen, dass die Straße kein jähes Ende haben wird, rausche ich weiter und weiter.

Hurensöhne und Barmänner

Bei einem Tag, der mit bilderbuchrotem Herbstlaub, einer Tasse Kaffee, Rührei und Sushi beginnt, ist es nicht verwunderlich, dass er in der Bar eines Schlosshotels endet. Dass sich selbige seit wenigen Wochen nur wenige Fußminuten von meinem Schreibtisch und meiner Badewanne befindet, tut der Sache keinen Abbruch, im Gegenteil. Auch der schwarze Barflügel passt ins Bild, und Ronny, der beflissene Kellner, der in seinem frisch eingerichteten Habitat noch etwas nervös herumhantiert und aussieht wie ein Serienspion, der den Barjob nur als Cover benutzt. Ein Roman ist wie ein zusätzlicher Langzeitgeliebter. Selber Zeitaufwand, selber Nervenaufrieb. Der einzige Unterschied ist, dass er weniger Eifersucht bei seinen Rivalen erzeugt. Bis jetzt zumindest. Dass er dreimal so gut fickt, muss ja keiner wissen. Oh Mann, und dass nichts und niemand sonst so viel Arbeit kostet wie dieser gottverdammte Hurensohn. Meine Geduld geht längst an Krücken. Nein, sie sitzt sogar tatternd und sabbernd im Rollstuhl. Aber meinem Perfektionismus ist das egal. Der lächelt und schiebt sie fröhlich durch den Park. Füttert ihr hin und wieder etwas von den Brotkrümeln, die er auch den Tauben hinwirft. Mag sie den Verstand verlieren, denkt er, mag sie sabbern und keifen. Er weiß genau, dass er die Alte durchkriegen wird.

Abendgekrächz

Als hätte ich nie gelernt, was meine Gefühle bedeuten. Als wäre ich erst ein paar Wochen alt. Ein taufrisches Wesen, im Körper einer halbwegs erwachsenen Frau und mit dem Verstand einer studierten Besserwisserin. Dieser Verstand sucht sich oftmals einen Weg durch meine Gefühlslandschaft, kartografiert und wundert sich. Alles neu. Im Nebel irren oder Brotkrümel streuen. Ich bin ein Winterwunderland und im Frühling weiß man nie, was unter der Schneedecke herauskommt. Das rote Ledersofa steht mal hier, mal dort. Ich mag das Geräusch leerer Zimmer. Ein leichtes Hallen, als sei hier noch niemand eingezogen. Immer wieder heißt es, wir sollten doch wenigstens Lampen aufhängen. Wer anderthalb Jahre keine Deckenlampen brauchte, denke ich, wird auch weiters keine brauchen. Ich öffne alle Fenster, durchlüften, einatmen. Eine Gitarre tupft watteweiche Tonflecken an die Wand, Musik, nicht nur im Kopf. Schwarze Vögel machen ein Abendgekrächz in den Bäumen. Es geht mir gut.

Farbbad

In einer Welt ohne Farben würde ich verhungern. Ich lebe von Farben. Vielleicht sollte ich sagen, mit Platon, von der Idee der Farbe. Und der Idee der Hibiskusblüte, der Kornblume, der Rose. Von der Idee des Dufts, des Granatapfels, der Johannisbeere, der Bergamotte, der Erde. Es sind nicht die Wasserlilien, die blühen. Ich blühe. Es blüht mir was. Das passiert zu jeder Jahreszeit.

Vanity Fairy

Es gibt Tage, an denen ich mich strecke und strecke und einfach nicht lang genug bin. Tage, an denen das oberste Regalbrett unerreichbar bleibt. Nennt mich verwöhnt, aber an solchen Tagen werde ich sehr schnell sehr traurig. Wer mal fliegen konnte, will eben nicht auf Stühle klettern. Sorry. Da hilft es dann auch nichts, wenn der Mann, der alle Schlingen und Fallen des Feenwaldes auswendig kennt, versucht, diese zu entschärfen, indem er sich selber hineinschmeißt. Oder wenn fette Pandas vor meinen Augen Kung Fu lernen. Oder wenn der Vater meiner nicht vorhandenen Kinder mir Kirschblütenhonig ums Maul schmiert. Ich bin ein unverschämtes Schmollkind, das sein Bild lieber zerreißt, als damit zu leben, dass ein Schmetterling in der linken oberen Ecke minimal schief geraten ist. Ich trage dasselbe Shirt wie meine dreizehnjährige Schülerin. Ich lese Vanity Fair. Das Buch, nicht die Zeitschrift.