Kopfüber

Diese Tage, an denen ich jemandem um den Hals fallen muss. Und wenn einer fragt, welches Tier ich heute bin, muss ich nicht lange überlegen. Etwas Hüpfendes, Leichtes, eine Bachstelze vielleicht, die Füße im schäumenden Wasser, Wippfee, Hupfdohle, kopfüber, Land unter.

Sahneratte

Ich fühle mich wie ein Zwischending zwischen dem Sahnehäubchen auf dem Marie Antoinetteschen Kuchen und einer robusten und hübschen Kanalratte. Dass die Antoinettesche Brioche nur ein Anekdotenkuchen war und dass es Menschen gibt, die Ratten nicht hübsch finden, tut nichts zur Sache. Nebenbei träume ich von Pferden und Elefanten. Esse gebratene Nudeln mit Riesengarnelen und jede Menge Kohlrabi und Mango. Spiele Billard. Und bin auf Bahngleisen und Schnellstraßen unterwegs. Rechts liegt ein Kraftwerkkomplex im nächtlichen Dunst und seine drei Schornsteine ragen wie rotäugige Aale in den Himmel. Obwohl die mysteriösen Höhenmonster stocksteif stehen, sehen sie lebendig aus. Als wollten sie ein Omen sein. Etwas bedeuten. Etwas sagen. Letztlich sagt der kleine Glückskekszettel aber mehr als alle Kraftwerkaale. If you are going to walk on thin ice, you may as well dance. Sagt er. Und tanzen will die kleine Sahneratte.

Der Schwan und ich

Nach langem Kranksein Schritte nach draußen wagen. Testweises Anleben alter Orte. Sie nehmen meine endlose Müdigkeit freundlich auf, mit Schneeglöckchen und einem Quintett fetter Forellen. Drei Wochen war ich weg. Ich weiß nicht wo. Eine Steppenwanderung, eine Wüstenreise, ein Tundramarsch, ich bin so dünn geworden. Am Bach entlang gehe ich nach Hause. Da haben der Schwan und ich noch lange die Hälse nacheinander verdreht.

Dünnhäutig

Im Fieber sezierte Nächte. Ich schneide sie in Scheibchen, analysiere, spalte. Stoße auf sinnlose Strukturen, Muster, kubisches Gedankenmaterial, sperrig, stapelbar. Verrenne mich in diese unlösbaren Aufgaben, die man im Delirium zu lösen versucht. Erst gegen Morgen gleite ich ab in etwas, das den Namen Schlaf verdient.
Manchmal Schwindel. Allgemeine Dünnhäutigkeit. Ich fühle mich wie ein Gespenst. Im Traum schlüpfe ich in einen fremden Körper. Merke es erst gar nicht. Als wäre das immer noch ich. Ein Bruderkörper vielleicht, ein Werkstück aus demselben Holz.

Julfeuer

Ich muss wie ein gejagtes Reh durch die Nacht laufen. Oder zum Klavierhocker wieseln und ein Fünfminutenkonzert in die Wände des Hauses schmettern. Ich entdecke, dass mir Gesang am Klavier viel leichter fällt als an der Gitarre. Nichts kann wegrutschen. Ich muss mich nirgends festklammern. Ich bin beglückt.
Vielleicht ist ja Rodin schuld. Als ich mich für zwanzig Minuten dem Schlaf überantworte und beim Aufwachen stückweise die Erinnerung zurückkommt, weiß ich plötzlich, was es heißen könnte, in einer Kathedrale aufzuwachen. Mit dem ersten Blinzeln die Größe zu ermessen und mit dem zweiten den heißen Stich der Hingerissenheit zu fühlen und ab dem dritten nur noch Staunen zu sein. Nur kathedralisch kalt ist es hier nicht. Hier brennen die Julfeuer.