Existenznachweis

Facebook und Konsorten machen mich glauben, dass nur geschehen ist, was als Event existiert oder fotografisch dokumentiert wurde. Ein Frühstück kann nur geschmeckt haben, kann nur diese wohlumrissene Frühstücklichkeit an sich gehabt haben, wenn es abgelichtet und hochgeladen wurde. Ein Mensch kann nur schön sein, wenn es genügend Bilder von ihm gibt. Ich sehe die Facebooker durch die Welt gehen, Kameralinsen auf den Augen, stets auf der Jagd nach dem Beweis für die Einzigartigkeit des Moments. Sie beweisen sich ihr Leben, ihre Existenz, abdrücken, anklicken, ihr Fühlen, ihr Denken, den Wert ihres Daseins, ein Nachweis jeden Tag. Es ist beinahe ansteckend, ich will auch existieren, will auch schön sein, fast bekomme ich Knipsaugen wie sie. Nur fast. Ich habe keine Kamera und will auch gar nicht. Moment um Moment für die besten Lebensbeweisbilder lasse ich verstreichen. Siebe nicht, sammle nicht. Reiße nur die Augen auf, es genügt. Unter einem Venushimmel, das Sonnenflirren im Haar, spaziere ich durch Florenz und mache kein einziges Foto.

Aprilgesichter

Mintgrüner Nagellack, frisches Sushi und gute Gesellschaft, die Nacht kann kommen. Mal wieder mit dem Zug in die Stadt, wo ich lerne, dass ein Mann von Welt Büsche schenkt statt Rosen. Wo wir honigblind norwegisches Volksliedgut rezitieren. Wo die Lachse rückwärts schwimmen.
Wahlweise nehme ich schriftliche Geständnisse entgegen, konspiriere mit dem pfirsichroten Mond oder bade in Meeren aus Vergissmeinnicht. Tagsüber besteige ich blühende Apfelbäume und andere Wesen, koste alkoholisierten Käse und Stücke vom Himmel. Der hängt einmal voller Segelflieger, irgendwo nahe der Alb. Ich wandle durch eine Herde von fünfhundert Schafen, während der Hütehund kraulselig unter meiner Hand mittappt. Der Hirte faselt Halbverständliches.
Beim Heimkommen, meine Schuhe sind voller Blütenstaub, finde ich einen Jahrmarkt hinterm Haus, altmodisch, bunt und klein. Wie ein Pilzkreis ist er aus dem Boden geschossen, versperrt mir den Weg zum Parkplatz. Ich parke anderswo und lasse mich durch die Stände treiben, überall Zuckerwatte, Schießbuden. Tags darauf ist der Jahrmarkt verschwunden, wie weggeblasen, als hätte ich vom Kinderkarussell und den Schiffschaukeln nur geträumt.
Ich entdecke stattdessen den türkischen Supermarkt für mich, frühstücke einmal mit Kichererbsen und Granatäpfeln, ein andermal mit einem jungen Römer, Mythenkenner, lächle, tunke mein Croissant in den Kaffee, meine Sinne in Neues, entfalte meine Triebe wie der Hibiskusbaum im Garten. Ich male wieder. Endlich.

Unwahrscheinlichkeiten

Ich klingle nie unangemeldet bei irgendwem. Der Schlagzeuger, in seiner Wolkenkratzerwohnung, geht nie an die Tür, wenn es klingelt. Und trotzdem, an diesem einen Tag klingle ich, und er geht an die Tür. Wir frühstücken auf einer Dachterrasse unter blauem Himmel, karamelisiertes Hühnchen und die beste Tomatensuppe der Stadt. Dort oben treffen wir einen anderen Musiker, dessen Tracks morgens im Zug durch meine Kopfhörer geflirrt waren, weitere Unwahrscheinlichkeiten. Wir lachen wie beschenkte Kinder, ein bisschen morgenmüde und sonnig zerzaust, vom Frühling.

Kreislauf des Lebens

Die Knospen der Pfingstrosen in meinem Garten, über ein Dutzend praller Versprechen, wippen und tropfen unter meiner Gießkannenhand. Eine Finkenschar feiert Sonnenblumenfest auf dem Fensterbrett. Ich esse ein Osterkaninchen und stapfe durch saftiges Grasland, vorbei an toten Kühen, vorbei an fickenden Kühen, vorbei am Kreislauf des Lebens.

Aufgepeppter Atheismus

Die Donaumöwen sind hungrig und fliegen bis auf die Felder hinaus. Hinter den pflügenden Bauern geiern sie den frisch aufgewühlten Boden durch. Ein Picken, ein Flattern, ein Acker voller Möwenschreie, akustische Meerillusion. Daneben die Gänseblümchen, dicht an dicht. Auf meinem eigenen Acker säe ich Borretsch und Sturm. Ich tanze mit den Goten und den Cyberpunks. Als ich eines Nachts die Haustür öffne, lacht mir ein Parkplatzschild entgegen und erinnert mich an Portishead. Groß und kobaltblau steht es jetzt in meinem Zimmer und spielt Ready-made. Ich bekenne mich zum Pantheismus und finde, dass der Begriff des aufgepeppten Atheismus ganz gut passt. Ich frühstücke im Garten, tippe mir meine Welt zusammen und bekomme plötzlich Lust auf ein Arsenal verschiedener Zeichenstifte. Oder auf Straßenmalkreide, Hüpfspiele, Himmel und Hölle. Meine Schritte folgen einer ganz eigenen Musik. Das Jubeln der Seele ist lautlos, aber gewaltig.