Wegfinder

Ich stifte ein Fest, das so lang ist, dass ein Gast zwischendurch von Ulm nach Stuttgart fahren kann, dort schlafen und wieder zurückkommen, weiterfeiern. Pianisten, überquellende Buffets, Tanzwut und Trinkseligkeit, Morgendämmerung im Garten, Aufbruch an den See, Musiker auf Decken verteilt am Strand, Gesang und Gelächter bis in die Nacht, Sand zwischen den Zehen und Trauben im Mund, manchmal umgekehrt. Müssten die Leute nicht irgendwann arbeiten, wer weiß, hätten wir vielleicht ein weiteres Morgengrauen überdauert. Sorglos, glücklich, aber nie zufrieden, wandle ich durch das alte Haus, knacke zwei der merkwürdigsten und deformiertesten Glückskekse, die ich je gesehen habe. Einer der Gäste hat sie mitgebracht, sie schmecken gut und erzählen von tanzenden Zulupriestern und Sphinxnaturen. Ich verlebe Musentage und erleide Mückenstiche, der Preis des Sommers, den ich gern und willig zahle. Ein blutbezahlter, festtrunkener, wilder Sommer, denke ich. Ein Wegfindersommer, ein unbändiger.

Sternschnuppen eimerweise

Ich sehe mir Statistiken an, Webstatistiken, die Statistiken der alten Villa, mit welchen Suchbegriffen die Menschen in meinem Club landen. Augustlaune. Krawattenrock. Ficken im Jugendstilbad. Feenschaukel. Kaviarmaul. Sensenmann. Meine Worte, losgelöst, vereinzelt, durch fremde Köpfe schwirrend, in fremden Zusammenhängen, ermuntern zum Eintreten in das altehrwürdige Tor. Brotkrumen, Lockstoff, Sprachpralinen.
Und immer wieder die Tage, an denen ich in diejenigen Fahrwasser zurückgleite, in denen ich gern den Rest meines Lebens verbringen würde. Es wird nicht gehen, nichts ist perfekt, aber es gibt sie. Die Stunden, in denen mir Sternschnuppen eimerweise in den Schoß fallen. Nächte, in denen ich Zentauren reite. Umarmungen, die mich durch die Luft wirbeln wie ein Kind. Eingebungen, die so sicher sind, dass ich heulen könnte vor Gewissheit.
Ein Blick aus dem Fenster, Sonne, Wolken, ein taubenblauer Mix. Alles nach Plan, sage ich. Selbst wenn später ein Sommerschauer niedergehen sollte, was kümmert’s uns. Macht Regen doch nur jeden Duft intensiver, jede Pore empfänglicher, kitzelt, neckt.

Quarkköpfe

Wassertage sind es, Regentage und Seetage, Badetage und Federplustertage, ich gehe Bachpfade und Donauwege entlang, in Gummistiefeln. An den Händen trage ich kleine Schnitte, vom Gras, vom Papier. Ich pflanze einen Ginkgo in den Garten, lecke Zitroneneis, grünweiß, mein Sommer. Irgendwann sitze ich im Literaturhaus in Stuttgart und weiß, dass ich wiederkommen will. Ich lege den Kopf schief, wenn mich ein Gehörtes berührt. Ein andermal lande ich inmitten einer Ansammlung von Codern und riesigen Partypizzen. Ich schnorre von den Bierflaschen und lasse mich mittreiben. Manchmal, wenn ich aufwache, weiß ich nicht, wo Tür, wo Wand, wo Fenster. Ich hüpfe zu Rock ‘n’ Roll durch die Küche, warte ohne zu leiden, trinke ohne betrunken zu sein, tanze und werde nicht müde. Sie sagen, dass Träume immer besser seien als die Realität. Quatsch, sage ich, Bullquatsch. Lebt traumhafter, träumt realistischer, ihr Quarkköpfe.

Luxusleben

Kindheitsbilder, Ferientage, Mittelalterlager, eigentlich weiß ich ja schon lange, dass Zopffrisuren erst richtig gut aussehen, wenn ich ein paar Stunden auf ihnen geschlafen habe. Oder mit ihnen durch Wälder und Gärten getobt bin. Frechflüchtige Strähnen auf dem braven Mädchenkopf, wetterfühlige, windhörige Strähnen, die mir über die Augen wehen. Die Ferien fühlen sich immer noch so an, Zopftage, Kindertage. Dabei sollte ich längst erwachsen sein.
An bedeckten Tagen gehe ich ins Freibad und habe es für mich allein. Mit etwas Glück kommt zwischendurch für zwanzig Minuten die Sonne heraus, das Licht tanzt auf meiner nassen Nase, das Wasser beginnt feudal zu glitzern. Unverschämt wellenlos liegt es da. Ich springe kopfüber hinein, aale durch das türkisgrüne Becken, ungestört, habe mehr Platz als ich jemals einnehmen könnte. Ich brauche keine Villa für ein Luxusleben.

Hier entlang

Das Gewitterblau und das Kaffeeschwarz liegen Seite an Seite, zwei tiefe Seen. Der Gartendreck an den Füßen und das Regenwasser im Haar finden ihren Weg ins Nimmerland meines Betts. All die Musik, die ich noch nicht gehört habe, Jack und Friedrich und auch ein paar lebende Männer treiben mich um. Die Bücher, die Worte, der Gepard im Geiste, von null auf hundert in drei Sekunden. Und die Menschen, all die schönen Menschen, Geschwister, die ich niemals hatte. Eine aufsprudelnde Idee, seit Hamburg lässt sie nicht los, mächtig wie der Strom der Zeit. Die wird tragen. Mich mitreißen. Hier entlang.