Gebauschte Röcke

Zweitausendelf kommt mir lang vor, vermag meinen Kopf satt auszufüllen, ein Jahr, das über seine Ränder hinausquillt wie ein wildgewordener Zaubertrank. Zweitausendelf ist bunt, ein Leben im Leben. So viele Flaggen wehen über seinen Zinnen, so viele Höflinge eilen hin und her, so viele Winde greifen mir unter die gebauschten Röcke, die Arme, mir könnten glatt Flügel wachsen. Alles ist in fast schon heiliger Bewegung, ein Vorbildjahr. Die Freude schleicht sich mal wieder herein wie Hochwasser, eine Pfütze bisher, die alles werden könnte, von knöcheltief bis Sturmflut. Im Erdgeschoss einer Frankfurter Westendvilla gibt es Gründerzeitfliesen, Fischgrätparkett und jede Menge Bücher. Eine mögliche Zukunft drängt sich auf leisen Sohlen an mich heran, unmerklich noch, wie die Freude, kaum mehr als eine sachte Berührung. Ich lese Verträge und Romane. Trinke Schnellzugkaffee. Sammle Ginkgoblätter. Kriege die Musik nicht aus dem Kopf. Ich klaube Glassplitter, bunt wie das Jahr, aus einer Plastiktüte, denke an Lederstiefel, Stierblut und das Auge des Sturms.

Baustellenland

Ich lebe im Land der heraklitischen Flüsse, zwischen den Baustellen, neben den Stühlen. Ich trage die feuerrote Perücke, Plateauschuhe, und tanze die Nacht in Stücke wie ein brüchiges, altes Seidenkleid. In ihrem spärlichen Rest schlafe ich bis Mittag, friere ein bisschen. Ich packe die Rosen und den Buchsbaum in Jute. Ich koche Tee. Ich sage ja. Ich will.

Oktoberjazz

Mit Alkoholmarkern, Acrylfarben und Worten male ich auf Papier, Leinen und Hirninnenwände. Ich bade in Herbstfarben, huldige dem Lebkuchenwetter, backe Knopfkekse. Die Nebelreise ins Land der Jazzer und Wölfe beschert mir Presse. Ich singe wieder öfter, singe Hannigan und Winehouse und Manson. Ich teste Rums und Hängematten. Über Holzdielen, Dachterrassen, Autobahnen und vielleicht ein paar Leichen geht es weiter Richtung Zukunft. Ein Buch behauptet, dass Frauen, die lesen, gefährlich sind. Ich rätsle, ob daraus irgendwas über schreibende Frauen abzuleiten ist.

Sonnenblumenfeuer

Ob ich vor Freude, Vorfreude oder vom Kaffee überdreht bin, spielt keine Rolle. Alle drei sind da, die Freude, die Vorfreude, der Kaffee. Manchmal, wenn die aufwallenden Energien über meinen schmalen Reagenzglaskörper hinausquillen, wenn auch kein anderes Gefäß sie mehr hält, muss ich hinaus und laufen. Vorbei an Apotheken, Asienrestaurants und Pferdekoppeln. Über Marmortreppen, Verkehrsinselbüsche und Schulzäune springen. Ich kriege mich schon leergepumpt. Unterwegs pflücke ich einen Sonnenblumenkopf und trage ihn wie das olympische Feuer nach Hause. Beim Runterkühlen kribbelt mir die Haut. Ich möchte keinen anderen Körper, kein anderes Leben. Als ich aus der Badewanne steige, das Fenster weit aufreiße, begrüßt mich Herbstfrische und Krähengekrächz, ein neuer Tag schwappt mitten in den alten hinein.

Herbstmoleküle

Ich atme die ersten Herbstmoleküle. Wenn es kalt ist, packe ich mich in den Norwegerpulli und streife durch die Stadt der Quellen. Das Türkis über dem Sand tut beinahe weh mit seiner Klarheit. Cyanblau, Lichtgrün, Wasserjade. Junge Forellen tummeln sich darin, haben Glück, können in dieser Klarheit schwimmen, tagein, tagaus.
Ich lerne, wann ich die Zügel loslassen, lerne sogar, wann ich mich abwerfen lassen muss. Schauen, wohin das Pferd rennt. Es geht nicht immer um Kontrolle. Manchmal geht es auch einfach um den Dreck an Deiner Hose. Um den Schmerz in Deinem Knöchel. Um die Schönheit des Pferdes, dessen wippender Arsch über den Hügel verschwindet. Oder um ganz andere Dinge. Ums Aufsammeln der Pfauenfedern. Um den Geruch des Leders, wenn Dein Kopf spätnachts neben Deiner Tasche im Bett zu landen kommt. Um Gartenliebhaber, Rosenkinder, Antiquitätenhändler, Künstler und Krautzüchter. Um Apfelstrudel. Um die simple Befriedigung, sich einen Spreißel aus dem Finger zu ziehen.
Ich knie lieber vor Schildkröten im Aquarium nieder als in irgendeiner Kirche. Ich tanze zu Nine Inch Nails. Ich male ein Bild fertig. Ich fliege. Ich warte.