Ein Fenster zerspringt. Die klirrende Kälte der Nacht steckt noch in der Scheibe, als morgens pralle Sonne darauf scheint. Das Glas platzt mit einem lauten Knall, fällt aber nicht aus seiner Fassung, knirscht nur, ein paar Splitter rieseln herunter. Jetzt hängt es da, ein Damoklesfenster, notdürftig mit Klebestreifen fixiert.
Ausnahmsweise glaube ich einmal so fest an mich, wie das manche Menschen tun. Zur Musik von Trent Reznor und Atticus Ross wache ich auf. Tanze unbewegte Tänze. Komme in der Gegenwart an. Keine Angst vor der Zukunft. Eine Lesungsnacht bei siebzehn Minusgraden, zu der sich eine Handvoll Leute aus ihren Nestern in eine kalte Clubhalle am Stadtrand locken lassen. Falken, rote Scheinwerfer und Bassmänner, Tee, Lyrik und Musik. Rampensau, sagt einer. Du solltest sowas öfter machen.
Kriegsspiele
Nichtstun ist oft das Heilsamste. Die Füße stillhalten. Ist aber gar nicht so leicht, die Zappelphilippe unter der Federdecke zu halten, auszuharren. Die Hufe wollen scharren, traben, galoppieren. Nachts schickt Morpheus mir Venusknaben, spielt Kriegsspiele mit mir. Im Café Einstein, wo es bis nachts um elf noch Frühstück gibt, Kaffee und Ahornsirup. Schlittschuhlaufen. Januargewitter. Ich nähe mit Goldfaden, zeichne Drachenschwänze, klebe wilde Collagen, fresse Blumen. Ich kratze das silberne Pulver von der Windschutzscheibe, stäubendes Eis. Morpheus’ schwarzes Haar, er kennt sich mit Politik aus, und seine beiläufigen Scheißegalblicke. Der Traumschmied, der Kuppler und Verwandlungskünstler. Sein heißer Wein in meinem Blut kühlt nur langsam ab.
Drei Tage
Fünfe gerade sein lassen, aufatmen, mich zur eigenen Asymmetrie bekennen. Den kleinen Zopf ins Haar flechten. Wirbeln, wirbeln, der Sturm hört nicht auf. Abwechselnd peitscht Regen und Schnee ans Fenster. Von innen peitschen Bilder, Stadtsilhouetten, das Vorbeifliegen der Wolken, der Züge. Erinnerungen, Geräusche, Gelächter, dummes und weniger dummes, das Echo überm Donauwasser. Fahrstuhlsekunden. Die weihnachtliche Entgleisung eines Intercity Express. Andere Entgleisungen, Hotelbettlandschaften, Endlosgespräche, eine Ohrfeige, zwei Meeraugen, drei Tage. Der samtige Geruch bärtiger Halsflanken, Altherrenhut und Stiernacken. Ich dagegen wie die Fahne im Wind, der schwarze Mantel, das rote Haar, heißer Honigwein zwischen nächtlichen Feuern. Arbeiten bis zum Umfallen. Leben bis zum Umfallen. Dann umfallen. Repeat.
Sturmgerüttel
Ich bade in Milch und Mariengrasaufguss. Vieles bedarf der Reinigung. Mitten im Trubel sich zum Grund sinken lassen, den Gedanken, den Verwirbelungen, dem leichten Fieber ihren Platz geben. Der eigenen Schwäche nachgeben, vom Sterben träumen. Durch die Wohnung tappen, dem Sturmgerüttel lauschen, hier der Teebecher, dort die trocknende Wäsche. Neben dem Bett der Korb, in dem die Gürtel liegen, ein Schlangennest.
Kirchheim unter Teck
In einer meiner zweiten Heimatstädte, ich gehe trinken, rauchen, reden. Manchmal, zwischendurch, über die Zigarettenspitze hinweg, habe ich Überblick über den ganzen Laden. Ich kenne viele der Gesichter, lese sie, den Schwung ihrer Kajalstriche, die Sorgfalt ihrer Bärte, nachdenkliche Blicke, redenschwingende Münder, sich ausschüttendes Lachen. Auch die fremden Gesichter sind heute Nacht offene Bücher. Die Menschen geben eine schöne Szene ab, eine gut geschnittene Filmsequenz, bewegte Körper, verirrte Strähnen, verrutschte Einstecktücher und Krawatten. Jeder ihrer Charakter, jedes ihrer Schicksale mangelhaft, als sei das so, und erst in ihrer Summe machten sie Sinn. Vielleicht haben sie sich deshalb versammelt, denke ich. Trinken sich zu einem Wesen zusammen, um wenigstens für eine Nacht ganz zu sein.