Ex-call-ibur
or
The Sword in the Phone

Die Fingernägel in dunklem Stahlgrau, als ließe sich so der eigene Verteidigungswert erhöhen, Armbänder, Nieten, der Geruch von Leder. Dabei ist fürs Essengehen im American Diner überhaupt kein Verteidigungswert nötig, allenfalls etwas soziale Geschmeidigkeit inmitten des freitagnächtlich aufgeputschten Menschenschwarms. Auch später, in aller Stille, beim Kokosfleischknabbern, ist Abwehr nicht vonnöten. In aller Stille, welch schönes Idiom, denke ich.
Was ich an Teenagern schätze, ist ihre ungebrochene Sehnsucht nach Coolness, ihr schamloser Genuss von Luxus und die Fähigkeit zum Sichgehenlassen. Dieser Heißhunger. Genau den bewahren und die Weisheiten Stück für Stück dazugewinnen, das ist Leben.
Ein Fenster zerspringt. Die klirrende Kälte der Nacht steckt noch in der Scheibe, als morgens pralle Sonne darauf scheint. Das Glas platzt mit einem lauten Knall, fällt aber nicht aus seiner Fassung, knirscht nur, ein paar Splitter rieseln herunter. Jetzt hängt es da, ein Damoklesfenster, notdürftig mit Klebestreifen fixiert.
Ausnahmsweise glaube ich einmal so fest an mich, wie das manche Menschen tun. Zur Musik von Trent Reznor und Atticus Ross wache ich auf. Tanze unbewegte Tänze. Komme in der Gegenwart an. Keine Angst vor der Zukunft. Eine Lesungsnacht bei siebzehn Minusgraden, zu der sich eine Handvoll Leute aus ihren Nestern in eine kalte Clubhalle am Stadtrand locken lassen. Falken, rote Scheinwerfer und Bassmänner, Tee, Lyrik und Musik. Rampensau, sagt einer. Du solltest sowas öfter machen.
Nichtstun ist oft das Heilsamste. Die Füße stillhalten. Ist aber gar nicht so leicht, die Zappelphilippe unter der Federdecke zu halten, auszuharren. Die Hufe wollen scharren, traben, galoppieren. Nachts schickt Morpheus mir Venusknaben, spielt Kriegsspiele mit mir. Im Café Einstein, wo es bis nachts um elf noch Frühstück gibt, Kaffee und Ahornsirup. Schlittschuhlaufen. Januargewitter. Ich nähe mit Goldfaden, zeichne Drachenschwänze, klebe wilde Collagen, fresse Blumen. Ich kratze das silberne Pulver von der Windschutzscheibe, stäubendes Eis. Morpheus‘ schwarzes Haar, er kennt sich mit Politik aus, und seine beiläufigen Scheißegalblicke. Der Traumschmied, der Kuppler und Verwandlungskünstler. Sein heißer Wein in meinem Blut kühlt nur langsam ab.
Fünfe gerade sein lassen, aufatmen, mich zur eigenen Asymmetrie bekennen. Den kleinen Zopf ins Haar flechten. Wirbeln, wirbeln, der Sturm hört nicht auf. Abwechselnd peitscht Regen und Schnee ans Fenster. Von innen peitschen Bilder, Stadtsilhouetten, das Vorbeifliegen der Wolken, der Züge. Erinnerungen, Geräusche, Gelächter, dummes und weniger dummes, das Echo überm Donauwasser. Fahrstuhlsekunden. Die weihnachtliche Entgleisung eines Intercity Express. Andere Entgleisungen, Hotelbettlandschaften, Endlosgespräche, eine Ohrfeige, zwei Meeraugen, drei Tage. Der samtige Geruch bärtiger Halsflanken, Altherrenhut und Stiernacken. Ich dagegen wie die Fahne im Wind, der schwarze Mantel, das rote Haar, heißer Honigwein zwischen nächtlichen Feuern. Arbeiten bis zum Umfallen. Leben bis zum Umfallen. Dann umfallen. Repeat.