Olle Doofe

Wundertüte, nennt er mein Arbeitszimmer. Man weiß nie, was als nächstes drinnen ist, wenn man reinschaut, sagt er. Einen großen Falter aus dem Haus tragen. Eine blaue Libelle aus dem Wasser pflücken. Fliegen erschlagen. Interviews geben. Bettzeug waschen. Im Haus, im Hinterhof riecht es nach frischer Wäsche. Mal wieder staunend das Foto von meinem Ururgroßvater betrachten, stolz posiert er vor seinem Geschäft in Berlin. Keine hippen Retroeffekte sind nötig, vintager als das Uraltfoto geht es gar nicht. Sepia pur. Auch mein Opa ist Berliner. Der Krieg hat ihn in den Süden verschlagen, Viertelberliner also, ich. Olle Doofe, höre ich meinen Opa in mein Ohr raunen. So dass ich sofort zum kleinen Mädchen werde, mich verschämt unter dieser Liebkosung winde, wie damals.

Nebenbei

Ich male. Muss aufpassen, nicht einfach die Möbel, die Bücher, die Wände mit anzumalen. Ein Paar Schuhe, denke ich. Es dauert nicht lange, die Farbe sickert ins Gewebe der Chucks. Blau, weiß, rot. Aus den Taschen meiner Jeans rieselt noch Norderneysand. The Kinks haben den Soundtrack zum Tag. Ich dezimiere die Schicht aus Klebezetteln, die wie ein Flechtengewächs auf meinem Schreibtisch wuchert. Ganz nebenbei die Erkenntnis der vielen Dinge, auch Menschen, die ich nicht brauche. Lazing on a sunny afternoon.

Der Preis des Sommers

Menschen, denen Details auffallen. Die fragen, warum ein Tupfer Nagellack auf meinem Spann klebt. Menschen mit Explosivkraft. Die sich die Kleider vom Leib reißen und ins Wasser springen. Menschen mit absolutem Gehör. Die im Grunde alles spielen können. Ich wippe ein wenig hin und her, kriege das Gefühl, ich säße fester im Sattel des Lebens. Ich mache Feuer. Zupfe im Halbdunkel Pflasterklebereste von meiner Haut. Es könnte auch ein Film sein. Ich muss einen Song schreiben. The Price of Summer, heißt er, denn wir bezahlen den Sommer mit Blut, bezahlen gern und leidenschaftlich, Insektenstiche all over.

Japanischer Meerrettich

Chili con Carne und billiger Rotwein. Verbrannte Haut und ein neues Buch. Pailletten und Kaffee. Gin und Tonic. Der Beginn der Sommerferien. Etwas Explosives macht sich frei, das Bunte einer Sehnsucht rinnt an den Wänden meiner Vernunft herab, halb Kinderspiel, halb Künstlertraum. Straßenkreide. Bleistiftskizzen. Japanischer Meerrettich. Plus. Ich habe ein Ticket ans Meer.

Wasserpfeife

Manchmal macht ein Geruch, der durch den Spalt eines Dachfensters hereinkommt, den ganzen Unterschied zwischen zielloser Verwirrtheit und einem gelungenen Abend aus. Ich trinke aus Gläsern mit Waffelschliff, trinke Orangina Rouge, trinke Hochprozentiges aus Fougerolles. Durch einen Zufall prasselt meine gesamte Grundschulzeit auf mich herunter, ungefragt und überraschend, schüttet sich mir in den Schoß, ein aufgeschlitzter Sack Zuneigung, Erinnerungen, Wunderlichkeiten, ein herzliches Willkommen zurück. Halbvergessenes, Orte, die ich mied. Bald werde ich Menschen aus einem anderen Leben begegnen, aus meinem vorvorvorletzten Leben ungefähr, aus einer Zeit, in der ich nur ahnen und träumen konnte. Sie werden sagen, sie hätten es schon immer gewusst, und ich werde überfordert sein. So viele, die mich länger kennen als ich mich selbst. Ich als Kind. Wieder. Immer noch. Ich nehme zwei, drei Züge aus der Wasserpfeife. Ich lasse mir eine Wunde schminken. Ich hänge an diesen und an jenen Lippen. Setze meinen Strohhut auf und schwimme hochauf, weggeschwemmt, vereinnahmt, halb aufgelöst, in den Wellen schöner Menschen.