Ich schleppe einen Arm voll gut erhaltener Geohefte aus den Achtziger Jahren nach Hause. Schulaltpapier, eine Fundgrube erster Güte für passionierte Collagisten, denke ich. Noch am selben Nachmittag fahre ich nach Neresheim und friere mir, ehrfürchtig Fresken und Orgel bestaunend, in der Klosterkirche den Hintern ab. Unwirklich, prachtbauerschlagen, die massive, christliche Leere, wir proben ein Stück von Jakob Ullmann, das siebzig Minuten dauert. Proben nochmal und nochmal. Zwischendurch müssen wir nach draußen, während die Mönche ihre Andachten halten. Bei der Vesper aber, im Vorhof ist es mondig, schleichen wir dann doch nach drinnen, Steinstufen, Goldranken, Barockbeichtstühle, und die Stimmen der zehn, zwölf Benediktiner surren wie ein Bienenschwarm. Als die Schwarzgewandeten zurück in ihre Zellen schlurfen, alle Türen verschließen, alle Lichter löschen, starten wir die Aufnahme. Nur auf der Empore brennen noch ein paar Funzeln, das bisschen Licht verliert sich in der Weite des Kirchenschiffs. Ein Organist, eine russische Orgelstudentin, ein Komponist, ein Techniker, ich und siebzig Minuten außerweltlicher Konzentration. Thriller sind ein Dreck dagegen. Es ist kurz vor Mitternacht, als wir die Mikrofone einpacken und die Orgelmanuale wieder abdecken.
Klamottenlasagne
Ich komme nach Hause, klappe den Koffer auf, Klamottenlasagne, räume nicht auf. Noch bin ich nicht messekrank geworden, obwohl ich Sibylle Bergs Handdesinfektionsgel abgelehnt habe. Oder gerade weil. Ich will eins von den Kindern sein, die mit Dreck spielen, alles anfassen und genau deshalb niemals krank werden. Vielleicht kostet mich dieses Wollen mal Kopf und Kragen.
In Frankfurt höre ich einen Penner schnarchen, so laut und dröhnend, als trage er einen riesigen Hohlraum in sich. Eine Brustkorbgrotte, die eigentlich in keinen Menschen passt, die große Leere. In mir, als ich auf die Straßenbahn warte, ist es ganz anders, ganz voll, dicht gedrängt, das Glatte, das Stopplige, das Perlige, das Flauschige, das Knistrige, das Knackige, das große Bunte. Fast zu gedrängt, schon im Mainnizza droht leichtes Durcheinandergeraten, ein Schluck Fleisch, ein Bissen Fanta.
Für die nächsten drei Wochen kann ich keine dicken Hipsterhornbrillen mehr sehen. Entferne Kugelschreiberlinien von meinen Schuhen mit dem Aggressivsten, was ich im Haus finde, mit siebzigprozentigem Absinth. Das Rascheln von Maispflanzen, ein neues Lieblingsgeräusch, ein Herbstlaut, Erntezeitwispern. Alles ist in Bewegung. Den Holzbalken nicht so betrachten, als sei seine graue Stämmigkeit für immer, denke ich und stoße mir den Kopf daran. Windmühlenreiter. Trotzkind.
Where I Lay My Head Is Home
Schreiende Büsche
Eine ganz normale Geburtstagsparty. Einzig die Musik lässt mich manchmal aufhorchen. Ich bin in der Paillettenphase, Glitzerfee, sagt einer. Ich muss an Kostüme aus Star Trek denken. Quatsch, Prinzessin Leia, sagt ein anderer, der Zopfschnecken wegen. Also doch Star Wars. Ich erfinde das Ratlosigkeitsbekämpfungslichtschwert.
Ein Interview in der Badewanne, eine schlaflose Nacht, ein Spaziergang ans Ende der Welt. Dort, an diesem Weltende, gibt es ein Dorf, das nach Kühen und Schafen riecht. Die Bewohner grüßen mich nicht, manövrieren nur weiter ihre Schubkarren von Misthaufen zu Misthaufen. Dafür versammeln sich Hunde und Katzen um mich, die Anwesenheit eines Fremdlings ist das Highlight ihres Tages. Fruchttragende Sträucher hängen voller Spatzen. Schreiende Büsche, denke ich.
Buchmesseticket, Bleistiftskizzen, ein verunglückt rosafarbenes Buch, zerrissene Feinstrümpfe aussortieren, Romanseiten verschlagworten. Wir bauen jeden Tag an dem, was sowieso zerbrechen wird, am Schnörkeligen, am Knallbunten, am Raffinierten, am Monumentalen. Jemand reicht mir ein duftloses Blümchen rüber. Auch Beichtväter müssen hin und wieder beichten.
Stuttgarter Lesung
In der Stadtbibliothek Stuttgart liest Fee am Donnerstag, 13. Dezember 2012 um 19:30 Uhr.
Moderation: Wolfgang Tischer
Stadtbibliothek am Mailänder Platz
Mailänder Platz 1
70173 Stuttgart