Auf der Stereoanlage läuft Keith Jarrett, Hifana und verschiedene Chiptunes. I cared not for consequences but wrote, lese ich bei William Blake. Es gibt Fastfood mit Rosenkohl. Ich bediene ein Bildbearbeitungsprogramm, wähle eine Schriftart aus. Werde vom plötzlichen Horrorgedanken verfolgt, eines Morgens in einer Welt aufzuwachen, in der alles beschriftet ist. Auf jedem Regal steht in klaren Lettern: Regal. Auf jedem Löffel: Löffel. Mehlstaubkörner mikroskopisch klein beschriftet: Mehlstaubkorn. Mein Blick sucht fieberhaft nach Dingen, die ich nicht benennen kann.
Love Story Project
Lesung im Rahmen der Korsakow-Show LoveStoryProject auf der Frankfurter Buchmesse
Foto und Rechte: Bernd Hartung
Barockbeichtstühle
Ich schleppe einen Arm voll gut erhaltener Geohefte aus den Achtziger Jahren nach Hause. Schulaltpapier, eine Fundgrube erster Güte für passionierte Collagisten, denke ich. Noch am selben Nachmittag fahre ich nach Neresheim und friere mir, ehrfürchtig Fresken und Orgel bestaunend, in der Klosterkirche den Hintern ab. Unwirklich, prachtbauerschlagen, die massive, christliche Leere, wir proben ein Stück von Jakob Ullmann, das siebzig Minuten dauert. Proben nochmal und nochmal. Zwischendurch müssen wir nach draußen, während die Mönche ihre Andachten halten. Bei der Vesper aber, im Vorhof ist es mondig, schleichen wir dann doch nach drinnen, Steinstufen, Goldranken, Barockbeichtstühle, und die Stimmen der zehn, zwölf Benediktiner surren wie ein Bienenschwarm. Als die Schwarzgewandeten zurück in ihre Zellen schlurfen, alle Türen verschließen, alle Lichter löschen, starten wir die Aufnahme. Nur auf der Empore brennen noch ein paar Funzeln, das bisschen Licht verliert sich in der Weite des Kirchenschiffs. Ein Organist, eine russische Orgelstudentin, ein Komponist, ein Techniker, ich und siebzig Minuten außerweltlicher Konzentration. Thriller sind ein Dreck dagegen. Es ist kurz vor Mitternacht, als wir die Mikrofone einpacken und die Orgelmanuale wieder abdecken.
Klamottenlasagne
Ich komme nach Hause, klappe den Koffer auf, Klamottenlasagne, räume nicht auf. Noch bin ich nicht messekrank geworden, obwohl ich Sibylle Bergs Handdesinfektionsgel abgelehnt habe. Oder gerade weil. Ich will eins von den Kindern sein, die mit Dreck spielen, alles anfassen und genau deshalb niemals krank werden. Vielleicht kostet mich dieses Wollen mal Kopf und Kragen.
In Frankfurt höre ich einen Penner schnarchen, so laut und dröhnend, als trage er einen riesigen Hohlraum in sich. Eine Brustkorbgrotte, die eigentlich in keinen Menschen passt, die große Leere. In mir, als ich auf die Straßenbahn warte, ist es ganz anders, ganz voll, dicht gedrängt, das Glatte, das Stopplige, das Perlige, das Flauschige, das Knistrige, das Knackige, das große Bunte. Fast zu gedrängt, schon im Mainnizza droht leichtes Durcheinandergeraten, ein Schluck Fleisch, ein Bissen Fanta.
Für die nächsten drei Wochen kann ich keine dicken Hipsterhornbrillen mehr sehen. Entferne Kugelschreiberlinien von meinen Schuhen mit dem Aggressivsten, was ich im Haus finde, mit siebzigprozentigem Absinth. Das Rascheln von Maispflanzen, ein neues Lieblingsgeräusch, ein Herbstlaut, Erntezeitwispern. Alles ist in Bewegung. Den Holzbalken nicht so betrachten, als sei seine graue Stämmigkeit für immer, denke ich und stoße mir den Kopf daran. Windmühlenreiter. Trotzkind.