Dunkelblau und ziegelrot

Aphex Twin und Squarepusher wiederentdecken. Zwischendurch DJ Fresh und Jaydiohead. Beim Autofahren aber Nine Inch Nails, Tool und White Zombie. Der Morgentau glitzert wie frisch geschliffene Messerspitzen. Selbstmördervögel sausen wenige Handbreit überm Asphalt vor meiner Motorhaube vorbei.
Die Stadt, die mich mit ihrem Geplapper einhüllt, nicht aufdringlich, mein altes Tübingen. Das Brausen und Summen, in das ich mich hineinlege, ins Geschwäbel, Gegröhle, Gezwitscher und Gequake, ins Schrittgemenge, in Bücherfestreden und Straßenmusiken, wie in hochgewachsenes Gras, vertrauensvoll, mit geschlossenen Augen. Der Duft von Kaffee, Pausen im Hotelbett, stilles Wasser. Sommerkleidgefühle, lesen auf dem Stocherkahn, Parallelwelten im Fahrradtunnel und eine Nachtlesung, die auf die nächsten Tage abfärbt, dunkelblau und ziegelrot.

Seelentetris

Wenn Ideen Flügel bekommen, sehe ich gern zu. Wenn die Sache aus dem Ei gepellt wird, Schwärmer mir vorschwärmen, Macher beginnen, die Hände zu regen. Die Kaffeemaschine gurgelt. Im eigenen Arbeitszimmer wuchern unterdessen die Prokrastinationsprodukte, Zeichnungen vor allem, Gesichter, Farbflächen, Akte. Ich erlaube mir bunte Umwege.
Schließlich lasse ich alles stehen und liegen, steige ins Auto. Westwärts, im Neckar wohnen Schildkröten. Der Himmel hängt voller Flugzeuge, die Wasserschutzpolizei hat nicht viel zu tun, ich auch nicht. Vor Übermut beginne ich zu balancieren und zu springen. Sonnenbrand und Gänsehaut wechseln sich ab. In Flipflops durch windgepflügte Wiesen, durch den Friedhof, durch den Regen. Ziegen, Riesenfische, Kastanienbaumkonzert, ich lasse mir Blüten ins Haar schütteln und Ameisen über den Bauch laufen. Hebe die Hand, um den andalusischen Hund zu streicheln, muss über das verwahrloste Tierchen lachen.
Tage, so dicht beschrieben, dass Morpheus nachts nicht nachkommt. Simple Träume, in-your-face, ein grobes Seelentetris.

Papageienfutter

Ich suche mir eine Shotgun aus. Besorge Goldmohnsamen. Studiere das Muster im Bauchgefieder einer Singdrossel, dunkle Pfeilspitzen auf elfenbeinfarbenem Grund. Ich werde beinahe vom Teufel geholt, zumindest wenn es nach den Träumen meines Mitbewohners geht. In meinen eigenen Träumen werden Körperteile amputiert. Ein trüber Sonntag, den Blick immer leicht gen Westen verzerrt, Utopiesalat erntend. Ein schaler Restschluck Bier vom Vorabend und jeder Herzschlag ein sanftes Rütteln am Paradiesgartentor. Das Rütteln wird heftiger, die Scharniere werden nachgeben. Wenn nicht, klettere ich. Meine Spatzen fressen Papageienfutter und die Fantasien gehen mir die Wände hoch.

Zeitlupe

Improvisierte Therapiesitzungen, Monster erwecken, Theaterkrieg. Parallelwelten auf der Bühne, in denen wir die eigenen Wunden, Ungeheuer und Aggressionen mit einer Goldschicht überziehen, Raffinationsspiele, Veredelungssport. Indessen rast ein Zug auf eine Brücke zu, deren weit gespannter Bogen sich im Nebel verliert. Wir ahnen, dort, mitten über der Schlucht, hören die stählernen Streben auf, enden die Gleise, diese Brücke steht ins Nichts gebaut. Aber wir feuern den Heizer an, lachend, ungeduldig. Die Notbremse geht ohnehin nicht mehr. Wie schön, dass Unfälle immer in Zeitlupe passieren.