Vierzig Schläge

Ich stelle ein Metronom auf vierzig Schläge pro Minute, höre zu und warte, wie lange ich den Takt aushalte. Zum Malen, abends, mache ich die Baulampe an. Einen Marshmallow essen, stelle ich fest, kann, richtig gemacht, denselben Effekt haben wie eine Zigarette, das Lösen des Geistes, das Freiwerden im Kopf. Ich schneide Gladiolen auf dem Feld, irgendwo in der Nähe ist ein Maislabyrinth. Manchmal, das weiß ich jetzt, hat eine leichtfertige Entscheidung wie die zwischen Müsli oder Toast zum Frühstück einigermaßen essentielle Folgen. Und jede Nacht zaust lautstark ein Igel durch den Garten.

Verloren gegangen

Extrem selten, dass ich ein Buch zweimal lese. Ein Murakami hat es in die Wiederholung geschafft. Dance, dance, dance. Ich nehme den Vierhundertseiter zur Hand, und ein Glas Whiskey. Hatte vergessen, dass auch der Protagonist gleich im ersten Kapitel neben einem Glas Whiskey erwacht, schmunzle. Was ist das für ein Phänomen, denke ich, dass ich, verloren gegangen, am leichtesten in meine Welt zurückfinde, wenn ich den Umweg über eine fremde Welt nehme.
Der Sturz in die Sommerferien gelingt mir aus halsbrecherischer Höhe. Hole mir zwar blaue Flecken, bleibe aber ganz. Im Kopf verhallt das Sommerfesttreiben, Achterbahn, Kettenkarussell, Holzschwertgeklapper, Sonnenbrandjammern, Grillkohleknistern. Mückenstiche heilen ab.
Vom Einkaufen nach Hause, langsam, barfuß über den heißen Asphalt. Kinder spielen auf der Straße. Sie werfen einen Ball, rufen hektisch durcheinander. Weg, weg, weg. Sie rennen. Gleich geht sie hoch, die Bombe. Der Ball, die Bombe, landet genau neben mir. Unbeirrt gehe ich weiter, lasse mich von den Kindern in die Luft sprengen.

Japanische Zigarettenmarken

Wenn ich einen Sonnenbrand bekomme, ist Murakami schuld. Ein Kapitel lese ich auf dem Rücken, eins auf dem Bauch, bevor ich in den Schatten gehe. Es ist wie eine Zwangshandlung. Ausgetrocknete Brunnen, japanische Zigarettenmarken, verschwundene Tiere und Menschen, Bierdosen, Tokioter Vororte, Mandschukuo.
An einem dieser heißen Sommerabende nach Hause fahren. Streetracing gegen das Gewitter, wir donnern von zwei Seiten auf die Stadt zu, das Gewitter von Westen, ich von Norden, wer zuerst das Rathaus erreicht. Ich drehe die Musik auf, bin schneller, wenn die Musik lauter ist. Gewinne auch, um ein paar Minuten. Das Gewitter poltert noch zweimal beleidigt und zieht von dannen.
Ein paar Tage später kommt eine herbstliche Kühle zurück, ich trage wieder meinen Thermobecher und den Lederjackengeruch mit mir herum. Immerhin kann ich so mein Faketattoo unter langen Ärmeln verstecken. Die Tage schleichen. Nur Gerüchte traveln at the speed of light.

Dunkelblau und ziegelrot

Aphex Twin und Squarepusher wiederentdecken. Zwischendurch DJ Fresh und Jaydiohead. Beim Autofahren aber Nine Inch Nails, Tool und White Zombie. Der Morgentau glitzert wie frisch geschliffene Messerspitzen. Selbstmördervögel sausen wenige Handbreit überm Asphalt vor meiner Motorhaube vorbei.
Die Stadt, die mich mit ihrem Geplapper einhüllt, nicht aufdringlich, mein altes Tübingen. Das Brausen und Summen, in das ich mich hineinlege, ins Geschwäbel, Gegröhle, Gezwitscher und Gequake, ins Schrittgemenge, in Bücherfestreden und Straßenmusiken, wie in hochgewachsenes Gras, vertrauensvoll, mit geschlossenen Augen. Der Duft von Kaffee, Pausen im Hotelbett, stilles Wasser. Sommerkleidgefühle, lesen auf dem Stocherkahn, Parallelwelten im Fahrradtunnel und eine Nachtlesung, die auf die nächsten Tage abfärbt, dunkelblau und ziegelrot.