Polizeischutz

Zwei Fenster mit halb gesenkten Lidern, draußen ist Nacht. Plötzlich dringt Blaulicht in den häuslichen Dämmer, geistert über die Zimmerdecke, lässt die Tropfen an der Scheibe saphirisch leuchten. Ich sehe hinaus. Im zuckenden Schein watschelt hochaufgerichtet ein Schwan. Hinter ihm die Polizeistreife im Schritttempo. Langsam und vorsichtig ziehen Autos an der märchenhaften Parade vorbei, längst hat sich ein dicker Feierabendstau gebildet. Das Tier blickt aufmerksam und etwas pikiert um sich. Denkt aber nicht daran, die Fahrbahn zu verlassen, tappt weiter königlich geruhsam die Hauptstraße entlang. Ein Vogelprinz mit Polizeischutz im strömenden Regen.

Schlick des Ärmelkanals

Dreihundert Stundenkilometer und mehr, ich reite immer wieder gern den Meilenfresser gen Paris. Street Art, Mangolassi und die beste Freundin erwarten mich dort. Wir fahren aufs Land hinaus, wo Menhire stehen, sausen auf ihrer Yamaha in den Sonnenuntergang. Bibbern vor Kälte. Am nächsten Tag Chartres, am übernächsten Tag weiter nach London, mit dem Eurostar, ein Wurm im Schlick des Ärmelkanals. Auf der Insel schließlich Essigpommes, bunte Marktstraßen, Menschen beobachten in der Tube. Halloweenkostümierte allenthalben, Hexen, Frankensteins Monster und Skelette, die von Themsebrücken spucken. Ein Speedrun durch die Tate Modern, stattdessen lieber Zeit im Pub vertrödeln. Liebend gern hätte ich noch die Kew Gardens gesehen, Bambus, Seerosen, Glashäuser. Aber die königlich botanischen Gärten schließen bereits um vier. Also doch wieder ins Pub, ein letztes Goodbye, dann Rückreise, Uhr umstellen. Erst als ich wieder zuhause bin, fällt der Groschen, was der Franzose im Bordbistro von mir wollte. Werde zukünftig nie wieder verwirrt sein, sollte jemand sagen, ich sähe aus wie Fifi Brindacier.

Fliegende Topflappen

Mal wieder wie die Vogelspinne eine Haut abgeworfen. Stattdessen ein neues Shirt übergestreift, sechzig Prozent Baumwolle, Graffitidruck, Bekenntnisse in Mauergrau und Neonorange. Aus den Standlautsprechern pumpt eine bunte Glitchmasse, Computerstimmen schrubben über die Klangfarben weg. Seit zehn Jahren öffentlich Tagebuch geführt, grobe Pinselstriche, Flickenteppich, Textreste zu fliegenden Topflappen verknüpft. Es müssen noch viel mehr alte Häute weg. Ich zapple, Kaffeekick, vorfreudehigh.

Frittenkrümel

Auf der Autobahn bei hundertdreißig, Aquaplaning, mich wachschlittern. Im Kopf noch Jarmuschs Filmblut und den Diamanten im Weltall, der das Geräusch eines riesigen Gongs macht. Lucy in the Sky with Diamonds. Zuhause dann die Wochen in Worte verpacken, dicht an dicht. Wir unterhalten uns über verschiedene Arten, sich ins Bett fallen zu lassen. Stocksteif oder wie Wachs zerfließend. Als ob du gerade erschossen worden wärst. Als ob du in der Wüste verdurstest, auf allen Vieren und endlich zusammenbrechen. Theatralisches Liegenbleiben. Auf dem Boden verteilt Shorts, rosa Brille, Sonnenhut, Bücher, in allen Taschen noch feinkörnige Erinnerung. Wir waren Surfer, Seifenbläser, Pferdenarren, Puppenspieler und Riders on the Storm. Eine Reise von Leuchtturm zu Leuchtturm, Seezeichen zu Seezeichen. Der Star, Sturnus vulgaris, betätigt sich in Dänemark als Minnesänger, empfängt Frittenkrümel für seine Liebe.

Knicklichter

In Wien, Museumsquartier, seltsame Fratzenköpfe, Pferde vielleicht, hängen an den Fassaden. Generation Tiefkühlpizza trinkt Cocktails, loungt auf Gemäuern, in denen noch die Sommerhitze des Tages steckt, und auf den bunten Freiluftsofas. Die Enzis genannt werden, lerne ich, während ich auf einer Mauer sitze, die jemandem zu hoch erscheint zum Sitzen. Ein Aufseher verjagt mich. Trotzdem fühle ich mich wohl zwischen den Museumsfassaden, Schaukästen, Bars, kulturprall, poppig, gut organisiert wirkt das Viertel, ein Ort zum Sattsehen.
Am nächsten Abend, Stadthalle, trage ich festeres Schuhwerk, Trent Reznors Perfektionismus tropft wie ein gut dosiertes Medikament in mein System. Take the skin and peel it back, sure, it makes me feel better. Nachtschwärmer beim Nachglühen, der Westbahnhof lädt nicht zum Lungern ein, wir tun es trotzdem. Kaugummi, Grüntee mit Honig, hier scheucht mich niemand von den Gleisen.
Zum Frühstück gibt es Eierspeise, Kürbiskerne, einen großen Verlängerten. Dann Autobahnstunden, Heimkunft, Wetterleuchten, ein buttergelber Vollmond und Blitze flirren zugleich am Himmel. Wir biegen und schütteln, uns selbst und knisternde Knicklichter, baden im See, fischen nach Worten. Ob die Farbe seines Autos einen besonderen Namen habe, frage ich. Seine Antwort, Babylonrot, eine wohlgehütete Erinnerung.