Gallium

Nebel, Eiskristalle, der verstohlene Blick in den Briefkasten. Jeden Tag könnte das Stück Papier da sein, das besiegelt, dass weitere vier Jahre Arbeit nicht vergebens waren. Schwarzkirschtee, der Subwoofer versetzt den Fußboden in sanfte Vibration. Im Kopf führe ich Gespräche mit Teenagern, versuche zu erklären wie das funktioniert mit dem Autorsein, wie das nicht funktioniert. Diesmal nicht die Kleinste, die Jüngste in der Theatergruppe, im Literaturkurs, die Achtklässlerin, die versucht, mit den Oberstufenschülern über Cees Nooteboom zu sprechen. Diesmal die Große, die Ehemalige, die zurückkommt an ihre alte Schule und den Achtklässlern Rede und Antwort steht. Das alte Gymnasium, seit Jahren nicht betreten, teils bewusst gemieden, das alte Ich, die alten Lehrer, und ich weiß nicht, sprechen sie mit dem Kind von damals oder wirklich mit mir.
Die Musik brummt mich behutsam zurück aus meiner Grübelei, zurück ins Kirschteezimmer. Ich arbeite, an Worten, an der nächsten Collage und daran, nicht in den Spalt zwischen Kühlschrank und Herd zu fallen. Später, Flucht ins Teamspeak, ich plausche mit den Weltraumpiloten. Sie liefern Tierfleisch, Kaffee, Gallium in ferne Sternsysteme, sie fliegen weiter, auch wenn ihre Frontscheibe zerrissen und der Sauerstoff knapp ist.

Splittperforiert

Cannstatt, Couscous, danke sagen auf Arabisch. Ich sammle einen demolierten Papierflieger aus dem Rinnstein, Wasserflecken, splittperforiert, gehe Treppenstufen hoch. Wider Erwarten gleitet das knittrige Flugobjekt smooth, supersmooth. Zieht eine große Schleife, nicht ins Grün, sondern auf fünfspurigen Asphalt hinunter, mein Kopfkino entwirft schon Unfallszenarien. Aber Krachen, Fluchen, sich faltendes Blech bleiben aus, ich kann weitergehen, unschuldig. Eichhörnchen tollen über meinen Weg, Seelöwen brüllen. Unter der König-Karls-Brücke, Hall of Fame, sind vier, fünf Graffitikünstler bei der Arbeit, ich atme den Spraydosenduft. Etwas abseits sitzt ein Riesengermane in seinem Korbstuhl und schmollt in die Welt. Er hat den Flügelhelm auf dem Kopf, ich die Sonnenbrille im Haar. Er brummelt, er wartet, dass jemand seinen türkisfarbenen Bart krault. Ich klettere auf seinen Schoß.

Privatissime

Jugendstilvilla, Collagen und pastose Gemälde an den Wänden, jeder Raum ist in einer anderen Farbe gestrichen. Geblümte Sofas, Stuckkanten, so sieht eine Lesung in Backnang aus. Privatissime, wie die Veranstalterin betont. Zwischen Ohrensesseln und Schnörkelstühlen ist kein Durchkommen vor Schuhwerk und Knien, auf sämtlichen Kommoden sind Kuchen und andere Leckereien verteilt. Durch den Flur, eine Bücherallee, eine Schlaraffenchaussee, schimmert grünes Gartenlicht zu mir herüber. Kein Wasserglas, ich trinke Tee aus einer Porzellantasse, während die Herrschaften mucksmäuschenstill abwarten, dass ich hinunterschlucke, abstelle, weiterlese. In unregelmäßigen Abständen zirpt es hinter dem Intarsienschrank, dort sitzt ein Heimchen und lässt seine Schrillkante tönen.

Verbotene Insel

Nicht weit vom Wileykiosk stehen Kanus wie Federwipptiere auf stählernen Spiralen. Der Satz schlummert im Zwischenspeicher, ich klettere in ihn, ohne Paddel, schaukle hin und her. Indessen pumpt Matthew Herbert sein End Of Silence in den Raum, Bombeneinschläge, ich lese im Zentrum für Politische Schönheit, lerne das italienische Wort für unbekannt, sconosciuto. Studiere weiter im Wissenschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen und hole schließlich F. Scott Fitzgerald zu mir ins Boot, der seine Flapper und Philosophen unter Spannung setzt, sie abschnurren lässt wie Aufziehschildkröten. Ich will mir eine Welt zusammenlesen, will sie herschreiben, hermalen, herschlafen. Staunen, Verständnis, Vielfalt, im Garten blüht der Hibiskus, simuliert seit Wochen Hawaii, wo der Palila und Laminella sanguinea aussterben. Am nächsten Morgen, vier Triangeln klirren im Kopf nach, schwimme ich im See, im kalten, klaren Wasser, verbotene Insel, um meine Beine streichen Tausendblatt und kleine Fische.

Tiefkühlfach

Am Klavier, e-Moll, F-Dur, notenloses Treibenlassen, das niemanden erreicht. Finger zu langsam, Wind zu kalt, Reparaturen und Arztbesuche zu teuer. Könnte ich die Geräusche der Regentropfen verkaufen, wäre ich reich. Aber sie herzugeben käme ja doch nicht in Frage. Jemand will mir etwas sagen, es scheint dringlich, aber seine Stimme rauscht nur, ein Brummen und Knistern in meinem Ohr. Musik, die sich nicht um ihre Verständlichkeit kümmert, denke ich und frage mich, ob er enttäuscht sein wird, dass ich nicht antworte. Der Eiswürfelbeutel im Tiefkühlfach ist zu einem kompakten Block zusammengefroren, nur noch mit dem Baseballschläger zerkleinerbar.