Detailkucker

Nur wenige Meter nachdem ich den Rhein überquert habe, weiß ich, was ich vermisst hatte. Ein bisschen Chaos, ein bisschen Verfall. Den Dreck, der entsteht, wenn man sein Leben lebt, ohne sich um jeden Käse zu kümmern. Die Fassaden sind fleckiger in Frankreich und ich sage nicht, dass das besser oder schlechter wäre. Aber es tut gut, für eine Weile im Land der fleckigen Fassaden zu sein, ein Leben jenseits des Perfektionismus. Drei Stunden später frage ich mich, ob meine Sinne heute stärker sind oder ob Franzosen stärker riechen. Sie riechen nach Zigaretten, nach Duschgel, nach Parfum, nach Konfitüre, je nachdem. Statt mir die Pariser Innenstadt zu geben, nehme ich einen Zug ins Umland. Nicht immer idyllisch dort. Ich mag es, durch die Landschaft zu kutschen, die Felder, die Wassertürme, die aggressiven Werbetafeln an der Route Nationale, wie ausgestorben manche Orte im Sommer sind, kleine Läden, in denen Immigrantensöhne arbeiten und mir als Frau überfreundlich ins Dekolleté grüßen, Schleichwege, Bonzengärten, Parks. Ich entdecke eine Sandgrube mit schneeweißem Sand, Schmetterlinge sind überall, nachts fackeln Jugendliche hier geklaute Autos ab. Die Destination einer Reise, merke ich, spielt keine so signifikate Rolle, ich genieße das Reisen an sich. Ich bin Detailkucker, mir wird selten langweilig.